WINTERGEIST
Vier quadratische Flächen, nun von weißem Glanz geschmückt. Hinausblicken will ich jetzt durch dieses Fenster! Es ist ein kleiner Raum in dem ich gefangen bin und es gibt nur dieses eine Fenster, das Winterfenster. Mein Gesicht presse ich an die Scheibe, suche nach dem Wesen dort draußen, der Zauberin, die mich in meinen Träumen mit Abenteuerlust beseelt, verzaubert mit einer schmeichelnden Melodie. Als seien es tausend Geister, umgarnen mich die Erinnerungen an diese Träume Ich wünsche mir die Freiheit, freigelassen, hinaus in die Eiswelt. Doch bis jetzt kenne ich nur dieses einsame Zimmer. Die Wände weiß, wie der Schnee jenseits dieses Glases. Ich starre aus dem Winterfenster, sehe den Hauch der Schneeflocken, vom Wind getrieben, von der Nacht verschluckt in der Ferne. Die Welt wirkt so unendlich, ein ewiger Raum, Schneeflocken, Eis und Kristalle. Es ist eine Stadt dort draußen, die Stadt der ewigen Kristalle. Um Mitternacht, wenn der Wind vom Rauschen ins Toben übergeht, beginnt der Schneegraupel am Fenster zu kratzen. Wie ein wilder tiefer, immer drängender Unhold rüttelt er am Glas. Meine Augen spüren die Eiseskälte am Fenster, mein Atem ein heißer Dunst auf dem Glas, ich fühle mich so beengt, bedrängt und gefangen. Ich will einfach Schreien, mit dem Getose meiner Wut das Fenster zerreißen. Aber doch da schwingt, tief in mir die Angst, dass dieses Fenster vielleicht doch eher ein Spiegel ist, ein verzaubertes Fenster. Ich erinnere mich nicht an meine Geburt. Ich war einfach da. Ich bin losgelöst von Zeit, aber nicht vom Raum. Hier in diesem kalten, schwarzen Zimmer, mit dem einen Fenster hause ich, ob Tag und Nacht. Ich kann nicht mehr schlafen, meine Augen durstet es nach den Eiszapfen, die ich von den Bäumen hängen sehe. Ich will mich an ihnen laben, will sie schmelzen mit meinem Atem, will das Wasser in mir tragen, will den Winter fühlen, mich im Schnee begraben. Ich will dahin, hoch in die Berge, dort wo der Turm stehen muss, von dem ich träumte. Aber ihr, böser Herr, habt mich hier gefangen. Meine Flügel habt ihr abgeschlagen, so muss es gewesen sein. Ich bin kein Engel, oh nein, oh nein. Ich bin ein Geist, ein Wintergeist und ihr haltet mich hier gefangen, weil ihr Angst habt vor der neuen Zeit, der ewigen, kalten Epoche, die dem Land droht. So sperrtet ihr mich in dieses Zimmer, hinter das Fenster, dem Winterfenster, damit ich vergehe, damit es keinen Winter mehr gibt. Könnt ihr Euch denn nicht am Weiß, dem puren Glanz von Schnee und Eis erfreuen? Muss die Kerze nicht nur das Zimmer erleuchten, sondern auch euer Herz. Warum setzt ihr Kälte mit dem Tod gleich, mit ewigem Schmerz? Lasst mich raus, ich bin nur ein armer Geist, ich will dass ihr mich befreit! Hoch oben in der weißen Kathedrale dort findet ihr das ewige Geheimnis der Eisgöttin. Ich bin ihr Diener, ihr Verehrer und mit dem Schnee erwacht sie. Seht doch, der Mond steht so hoch! Seht die Flocken, wie tausend weiße Federn schweben sie durch die Nacht. Weiß und Schwarz, bald ist es vollbracht. Die Welt wird kalt, aber es ist doch nicht der Tod, der euch droht. Es ist die Eiszeit, die das Land nun bedeckt. Wölfe in der Nacht, das Heulen in den Wäldern, Winter, Winter, Zeit der Kälte und der Reue. Die Schneeflocken sind nun ein weißer umhang, und hinter dem Fenster, dort sehe ich nur die Weite des Landes, wie es im Schnee erleuchtet. Mal blau, dann grau, hier und da weiß, erleuchtet vom vollen Mond. Ich beginne zu tanzen, summe eine tiefe, dunkle Melodie. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die Kälte über das Glas kriecht. Lang dauert es nicht mehr, bis es bricht. Die Welt wird nicht vergehen, meine Göttin wird kommen und das Land verändern. Ihr Menschen braucht nicht zu schaudern, der Winter kommt und geht. Mal länger, mal kürzer. Wir nehmen nur die Schwachen und all das ist nicht leicht. Mit hohem Ton zerspringt das Glas und ich entkomme. Hinter dem Fenster, meinem Winterfenster erwacht die Welt. Ihr schreit mir nach, doch es ist zu spät Ich schraube mich in die Höhe wie ein Sperling im Frühling, hinauf in die eisige Luft. Ich heule durch die Nacht, wie ein unruhiger Wolf. Es ist Winter, es ist kalt. Meine Göttin erwacht. Von weither sehe ich das Leuchten des hohen Turmes, dem Winterturm. Ihr Singen erschalt durch die Nacht und als die Sonne erwacht, das rot über die Welt zieht, wie Blutstropfen über den Schnee sich spült, erstrahlt die Welt im puren Glanz. Und ich schreie voller Entzücken: "Es ist Winter!"Veröffentlicht auf www.literaturzone.org Wintergeist / 14.12.2004 / Shortstory Romantik Bewertung/Kommentare
Samstag, 05. Oktober 2024
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Kategorie: Entdeckt
Erstellt von: Badfinger
Veröffentlicht am: 14.12.2004
Geändert am: 14.12.2004
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