DIE GONDEL
"Entweder du hältst jetzt das Maul oder es passiert etwas!" Die Stimme von Markus Hauber, dem größten und gemeinsten Arschloch der Schule hallte durch die Gondel und ließ alle weiteren Gespräche meiner Klassenkameraden abprubt verstummen. Robert trat unsicher einen Schritt zurück. Er hatte schon den ganzen Tag, vom Beginn des Wandertags bis jetzt gehofft, daß er von diesem Schlägertyp in Ruhe gelassen werden würde. Seit er die sechste Klasse besuchte hatte Hauber und seine Kumpane ihn als Prügelknaben für alles und nichts auserkoren und es war nur natürlich das diese Demütigungen auch bei Rob eine tiefe Spur hinterlassen hatten. "Hey, reg' dich ab! Vielleicht hat er ja Recht", rief ich. Markus Augen stierten unbarmherzig und belustigt meinen verschüchterten Freund an, während die Gondel ihre Abfahrt fortsetzte und der Wind dicke Schneeflocken gegen die Scheiben warf, so daß die Aussicht auf das Bergmassiv sich in einen glitzernden Schleier verwandelte und die Flächen aus Schnee und Eis zu weißen, hektisch geführten Pinselstrichen verwischten. Mir war klar, das Robs Aussage, wir würden es wegen dem aufziehenden Sturm vielleicht nicht mehr sicher bis nach unten schaffen, einen Angst heraufbeschwörenden Inhalt hatte. Die Hände des Kerls, die schon unzählige Bier- Wein- oder Whiskyflaschen und Zigaretten gehalten und zum Mund geführt hatten, zitterten vor Anspannung. Frau Zwickel, unsere Klassenleiterin, machte sich bemerkbar. Sie trat aus einer Ecke heraus auf Markus zu. "Markus Hauber! Du läßt deinen Klassenkameraden in Frieden oder ich sorge dafür, daß du die Schule verläßt!" Ihre Stimme war ernst und hart. Mutige Worte, aber in Anbetracht der Situation äußerst unschicklich. Nichtsdestotrotz, sie versuchte wenigstens die momentane Atmosphäre zu entspannen und den Streit, der gerade erst seinen Anfang nahm, sofort zu beenden. "Hören Sie, sie altes Weib! Ich kann auch gleich bei Ihnen anfangen!" Innerhalb eines Wimpernschlages hielt Hauber ein Springmesser mit leuchtendem Griff in der Hand, der trotz des wenigen Lichts blitzte und glitzerte, wie ein Rubin. Er spielte an dem Knopf, der die Klinge schnappen ließ. Der Mund der Lehrerin bebte, ihre Hände ballten eine Faust und in ihren Augen flimmerte ein seltsames Gemisch aus Furcht und Wut. Hatte er etwas gesagt, das sie schon einmal gehört hatte? Hatte dieses Arschloch in ihr Erinnerungen oder gar vergangene Qualen wachgerufen? "Hör zu! Du gehst jetzt in deine Ecke, hältst dein ekelhaftes Maul und gaffst gefälligst aus dem Fenster! Verstanden?" Ich hegte die Vermutung, das man ihn einschüchtern mußte. Etwas anderes schien genauso ausweglos, als würde man einen Regenschirm zum Schutz gegen radioaktive Strahlung aufspannen. Robert hatte nun das rechte Ende der Gondel erreicht und die Augen des Jungen zuckten unablässig zwischen mir und Freundchen Hauber hin und her. Seine Freunde, ebenfalls miese Typen, beobachten uns aus sicherer Entfernung. Ich hatte keineswegs vor hier den Helden zu spielen. Dennoch: Das Heulen des zunehmenden Windes und das leichte Schaukeln der Gondel machten mich zappelig. Ich konnte keine Schlägerei gebrauchen! Schon den ganzen Tag hatte ich mich dafür verflucht, bei dieser Wanderung dabei zu sein. Zum einen verabscheue ich solche Veranstaltungen und zum Anderen war ich schon an die sieben Mal auf dem Gipfel des Fellhorns gewesen. "Du willst also Streit? Markus Stimme klang höhnisch und hektisch. "Nein, ich hatte schon gesagt, was für dich das Beste wäre! Bist du denn taub?" Frau Zwickel drehte sich von uns weg und gesellte sich zu Robert, dessen Körper zitterte. Seine Zähne kauten ungeduldig auf der Unterlippe herum, als sei sie ein dickes Kaugummi. "Mach ihn alle, Markus!" Das war Babler. Ein schmächtiger Junge und der Einzige, der die achte Klasse schon das vierte Mal hinter sich brachte und noch immer kein Deut schlauer geworden war. Sein Vater, Rechtsanwalt und offenbar gut befreundet mit dem Rektor, hatte dafür gesorgt, daß sein schwachsinniger Sohn eine vierte Chance bekam. Wie es schien, hatte Babler auch nicht gelernt, das es Zeiten gab, wo man die Klappe hielt. "Ihr hört jetzt AUF!" Frau Zwickel schrie aus vollen Lungen und ihre Worte hallten fast von den Wänden der Gondel wider, so laut und wütend hatte die Frau sie hervor gebracht. - pling ! - Markus linker Finger hatte den Knopf gedrückt - die Messerklinge funkelte mich diabolisch an. Er ignorierte alle um sich herum, sein Mund verformte sich zu einem hungrigen Rachen, die Augen stierten mir wirr und milchig entgegen. Jetzt zuckte seine Linke mit dem Messer hin und her und schnitt die Luft in kleine Fetzen. Frau Zwickel trat auf ihn zu, Markus wirbelte herum und das Messer fuhr unterhalb ihrer linken Brust entlang. Riiiiitchhh! Die Messerspitze riß einen blauen Fetzen aus ihrem Parka! "Ich hatte dich gewarnt Mäu- " Ich hechtete auf ihn zu. Unsere Körper prallten auf einander und er stolperte überrascht drei, vier Schritt zurück. Maria und Ilona, die hinter ihm standen, spangen zur Seite, als wäre er ein Scheit Feuer, den man ihnen zugeworfen hatte. Vielleicht war er das ja auch. Frau Zwickel starrte ihn fassungslos an. Das war das erste Mal, das sie von einem Schüler mit den Messer bedroht worden war. Robert zuckte unruhig hin und her. "So, du willst zuerst abdanken?" Die Stimme des Kerls glich einem Reibeisen und er spukte mir vor die Füße. Wie viele Schüler hatte er eigentlich schon bespuckt, gequält, zusammengeschlagen, erpreßt? Fünfzig? Hundert? Die linke Hand hielt noch immer das Messer. An der Klinge hing noch der rote Stoffetzen. Das Dröhnen des Windes schwoll an, schien einem ekstatischen Höhepunkt entgegen zu streben, als wolle der Wind Markus betören, ihn anfeuern. Unsicher trat ich einen Schritt auf ihn zu. "Was jetzt?" Hauber schoß vor, mit dem Messer voran. Ich sprang zur Seite, stieß mit zwei Jungen zusammen. Die Messerklinge surrte durch die Luft hauchdünn an meiner Nase vorbei. Markus drehte sich auf dem Absatz und setzte zum Sprung über. Pfeilschnell riß ich meine Faust hoch in sein Gesicht. Er taumelte trunken zurück und Ich trat gegen seine Linke. Verbissen krallten die Finger das Messer fest und ich konnte trotz allem Bemühen ihm das Messer nicht aus der Hand schlagen. Die Haare hingen ihm ins Gesicht, sein Atem rasselte hörbar durch die Lungen. Seine Augen entzogen sich meinem Blick, die Hand mit dem Messer hing schlapp herunter, als sei sie nur ein lästiges Anhängsel. Die Anderen hatten einen lockeren Kreis gebildet und hielten sich bereit und auszuweichen. In ihren Gesichtern stand nur morbide Faszination und Ekel und nackte Angst geschrieben. Die Augen meines Freundes schienen zu fragen, womit dieser Tag enden würde. Mit einem gebrochenen Arm? Einer blutigen Fleischwunde oder etwa Tod? Ich schnappte nach Luft. "Komm laß den Scheiß. Es reicht jetzt." brachte ich hervor. Egal was ich sagte, Hauber würde Hackfleisch aus mir machen! Und da mir das klar wurde, war ich bereit mich mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Wieder zuckte Markus Hand und Roberts gellender Ruf wurde von einem Stich in die Wade begleitet. ""SCHEISSKERL!" Innerhalb eines Augenblicks schlug ich zu. Meine l Rechte prallte gegen seine Linke, Ich bekam die Klinge zu fassen, bog so gut ich konnte! Ein Klacken war zu hören, als ich es irgendwie geschafft hatte ihm das Messer aus der Hand zu schlagen. Mister Schlitzer hielt kurz inne. Seine Augen blickten starr in mein nun schweißgebadetes Gesicht! Da sprang ich vor und riß ihn zu Boden. Seine Fäuste trommelten in mein Geischt. Ich schlug ebenfalls zu. Babler und der Rest seiner dreckigen Freunde stürmten auf mich los und droschen auf mich ein. Es war mir gleich. Dieses Schwein unter mir hatte meinen Freund seit der sechsten Klasse erpreßt, gedemütigt, geschlagen und sich über ihn lustig gemacht. Ich landete einen Treffer auf sein Nasenbein. Und noch mal! Babler und seine Meute stampften auf mich ein. Ich wurde zur Seite gestoßen, ließ mich dennoch nicht von dem Körper unter mir wegdrängen. Ein dunkle Wolke puren Hasses umnebelte mein Hirn. Meine Fäuste hagelten auf ihn nieder, wie ein Schmiedehammer.. Haubers Wimmern und Geschrei war Musik in meinen Ohren! "Wie gefällt dir d-"" Blitzartig flutete eine Welle des Schmerzes von der Niere her durch meinen Körper. Meine Fäuste ratterten weiter über sein Gesicht. Markus Nase war eine Klumpen aus Blut und ich befand mich kaum noch in der Lage einen weiteren Schlag zu verkraften. Die Klasse kam in Bewegung. Jungen und Mädchen umrangen uns. Sie schrien wild durcheinander und dazwischen Roberts Kreischen: "Hör auf David! Hör endlich auf, es reicht!" Wieso? War das hier nicht genau die Strafe, die dieser Kerl unter mir verdiente? Hatten nicht viele Andere diesen Schmerz verspürt ohne jemals die Gelegenheit gehabt zu haben sich zu wehren? Und was war mit den quälenden Worten, die er Frau Zwickel zu geschrien hatte? Bablers Gesicht schwebte plötzlich über mir. Ein breites Lächeln umspielte seine Lippen, als er mit aller Wucht gegen meine rechte Schläfe schlug. Jenseits des Treffers entflammte innerhalb eines Atemzuges ein helles Feuer der Schmerzen, als ob mein Kopf zwischen die kalten Backen eines Schraubstock gequetscht wäre. Ich sank erschöpft von Markus zur Seite.Samstag, 21. Dezember 2024
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