BIS DIE SONNE ERWACHT UND DAS LEBEN ERLISCHT (1/10)

Erinnerungen und das kleine Mädchen

Nacht, Schatten und Finsternis ist alles das ich kenne, seit Monaten, Jahren… seit unendlichen Tagen, die jedoch nicht mehr sind als Nächte der Suche und der Jagd, nachdem was man mir nahm, an jenem Tag. Erinnerungen sind mir geblieben, Fragmente eines gelebten Lebens, dass niemals dem gleichen würde, dass noch vor mir lag. Wenn ich die Augen schloss erwartete mich Finsternis und wie sehr dürstete es mich nach Sonnenlicht? Gab es dort draußen irgendjemanden, der wie ich verstand, was aus der Welt geworden war? Jemand der die Gefahr kannte, der versuchte sich ihr entgegen zu stellen? Meine Augen jedoch erkannten nur den täglichen Wahnsinn. Geschäftiges Treiben auf den Straßen. Da war ein Unfall… Keiner sah, wie das kleine Kind dort stand und weinte. Der Mann zu meiner rechten würde morgen wahrscheinlich an einem Herzschlag sterben und dennoch mochte das Niemanden dazu bringen, ihm ein nettes Wort zu sagen. Aber was fiel mir ein, über so etwas zu richten, hatte ich doch selbst all dies als Gefühlsduselei abgetan! Die Geschäfte schlossen bald, es war schon kurz vor Mitternacht und dennoch, niemand schien mich zu bemerken. Ich war wie ein Schatten der an den Leuten vorbei huschte, belanglos ohne Substanz und verloren. Wie sehr sehnte ich mich nach einem Lächeln! Nach etwas Liebe, nach Hoffnung in einer Welt die sich gegen mich verschworen hatte. Welch Narr war ich gewesen! Damals hatte ich diese Gefühle gehasst, schien mich nur für mein Notizbuch und meine grausigen Funde zu interessieren! Ich war der Betrogene, der sich selbst genommen hatte, was es Wert war zu leben! Ich hatte mich überschätzt, war in meine eigene Falle getappt! Blut, überall Blut, seit Tagen. Es war in meinen Gedanken, im Fernsehen, auf den Websites der großen Newsagenturen. Die Zeit lief ab, das war klar. Das Zeitalter des Menschen verrann wie Sand, der zwischen den Fingern sickert. Was sollte ich tun? Ich war nun einer von den Jägern und auch mich quälte dieser Durst, dieses Verlangen nach Blut… So wanderte ich also auch in jener Nacht die Straßen entlang, vorbei an dem kleinen Restaurant, an dem Bogenfenster, wo ich hinaus geblickt hatte. Der Kirchturm glomm im fahlen Licht des Mondes, die Straßen waren voller Gesichter, voller Menschen und dennoch niemand sah mich, nahm mich wahr. Ich war allein in einer Millionenstadt. Schließlich, als ich eine Zigarette aus meiner schwarzen Jackettasche fischte, sie anzündete und den ersten Zug nahm, erinnerte ich mich an eine Zeile in meinem Notizbuch. Es war ein Gedicht gewesen, zumindest glaube ich das. Ein Fragment: We will never die, until we touch the burning sun, we can never say, how it all begun. Time is short, Life is Death, when we reach for the burning sun… Mir kam wieder der Gedanke. Ich wollte nicht mehr sein, ich wollte scheiden von dieser Welt, in der man nichts mehr sieht. Ich hatte genug, meine Jagt war zu Ende, ohne Erfolg und es gab nichts, was mich hier hielt. Vielleicht noch ein paar Jahre, dann war eh alles zu Ende. Meine Augen verfingen sich an den Zeigern der goldenen Uhr am Kirchturm. Damals war es nicht mal fünf Uhr, als mein Leben dem Ende nahe gewesen war, als ich eine Chance hatte und sie vertat. Warum hatte ich nicht das getan warum ich gekommen war? Angst? Ja, wohl wahr. Mein Notizbuch … Immer wieder dachte ich an die vielen Nächte in meinem kleinen Zimmer, das sanfte Ritzen des Füllfederhalters, als die Tinte über das Papier huschte, als Worte zu Sätzen sich verbanden und das Grauen auf Papier gebannt wurde. Ich nahm einen neuen Zug an der Zigarette, auch wenn sie nach nichts schmeckte, dass irgendwelche Erinnerungen in sich trug. Zeit war bedeutungslos geworden und dennoch, immer wieder starrte ich hinauf zum Kirchturm. Dort in der Kirche lag das Geheimnis begraben. Es war das Zentrum meiner Jagd gewesen, aber ich hatte einfach nicht den Mut gehabt! Dort drinnen mochte die göttliche Hölle des Wahnsinns sich an dem Vergessen der Menschen ergötzen. Bilder würde es dort geben! Bilder des Grauen, gezeichnet von blutigen Händen, begehrt von kreischenden Schreien. Macht die sich entfaltete und stärker wurde. Aber nun, was hielt mich davon ab, dort hinein zu gehen? Ich war jetzt einer von Ihnen. Vom Jäger zum Gejagten, wie klassisch. Ich grunzte ein müdes Lachen und warf den Zigarettenstummel weg. Wie lang ich dort sinnend verhielt, verloren in einer Welt, die nicht mehr lang existierte, weiß ich nicht, aber es war ruhig geworden. Hier und da noch jemand unterwegs. Egal, sie sahen mich nicht, sie sahen nur sich. Warum war es der Menschheit nicht erlaubt sich selbst zu sehen? War es ein dunkles Geheimnis, oder einfach nur Ignoranz von Tausenden, die sich selbst mehr verachteten, als das Verachtungswürdige? Ich wollte gerade einfach zur Kirche, die Treppen hinauf, hinein in den Wahnsinn, als eine zaghafte Stimme mich überraschte: „Ich …. hab … mich ver- laufen“ Zwischen den Worten das Schluchzen und ich wusste, wenn ich mich zu ihr umwandte, wäre das kleine Mädchen verloren! Es war nicht recht, ihr zu nehmen, was noch vor ihr lag! Es war nicht der Sinn von Kindern, so früh von der Welt zu gehen, in der sie noch nicht mal ein Zehntel ihres Lebens verbracht hatten. Dennoch, ich drehte mich um. Dort stand sie. Die Augen groß, den Finger im Mund und Tränen im Gesicht. Es war das Mädchen von vorhin, ihre Mutter entweder tot oder auf dem Weg dorthin. Ich nickte einfach und sagte dann: „Lauf fort Kleines.“ Es war kein Befehl, es war mehr ein Flehen. Aber sie stand dort stockstill, nur die Tränen flossen. Ich strich ihr durchs Haar, langsam und im gleichen Augenblick donnerte das Glockenspiel der Kirche. Es war der grausige Gesang der Mitternachtsmelodie. Das kleine Mädchen umkrampfte mein Bein und ich spürte ihr Schütteln. „Ich will zu meiner Mutter!“, schrie sie, als das Glockenspiel verhallte und der Wind über den Asphalt strich, Blätter in die Luft wirbelte und Erinnerungen an jenen Tag herauf beschwor. Oktober, kalte Winde, heiße Suppe, Lächeln, eine Frau, die Kellnerin die versuchte nett zu sein und dann Blut! Das Blut an ihren Fingern. Im nächsten Augenblick krachte ihr Gesicht gegen das Fenster… „Nein!“, schrie ich und die Kleine sah auf zu mir. „Nein?“ „Ich meine… Dort wo Deine Mutter ist, kannst Du nicht hin. Noch nicht…“, versuchte ich. Was wusste ich denn davon? Ich hatte ein paar Geschichten geschrieben, nichts Besonderes und das alles war vor der Entdeckung gewesen, dass in dieser Welt Vampire die Herrschaft übernahmen! Mehr Tränen, Trauer und Verlust, die dort in dem kleinen Kind sich austobten. „Warum?“ Sie wollte es verstehen und was konnte ich ihr sagen? Ich wusste es doch selbst nicht. Ich hatte nie jemanden geliebt, war einsam gewesen und dann als ich von dieser Welt in die der Finsternis gerissen wurde, hatte ich erst Recht keine Chance mehr, nur irgendwie Liebe zu finden. „Komm.“, meinte ich. Ihre kleine Hand verschwand in meiner geschundenen, wo die Glassplitter Narben hinterlassen hatten. Wir schritten die Stufen zur Kirche hinauf. Die Tore so mächtig und erhaben, deren Schatten sich über uns legte, waren verschlossen. Es gab dennoch keine andere Chance, ich wusste nicht, was ich wollte, ich wusste es nie und jetzt, da ich dieses kleine Mädchen an meiner Seite hatte, war mir klar, ein letzter Versuch gegen die dunkle Macht anzukämpfen, war alles das mir blieb. BIS DIE SONNE ERWACHT UND DAS LEBEN ERLISCHT (Folge 1/10) (2007) - mnebeling.blogspot.com

„Alles hat eine Bedeutung, selbst der Tod“

Die Stufen waren zu groß für sie. Ich hob sie hoch und versuchte ihr ein Lächeln zu schenken, während das silberne Glühen des Mondes unsere Gesichter küsste. Der Wind umspielte uns, wisperte unverständliche Worte und mir wurde klar, dass ich diese Welt nicht verlieren wollte. Zwölf Stufen, meine Erinnerung täuschte mich nicht! Lang, lang war es her, so schien es, doch Zeit bedeutete nichts mehr für mich. Sie war mir fremd geworden. Die Kleine schmiegte sich an mich und es war ein seltsames Gefühl ihre Wärme zu spüren. Hatte sie denn keine Angst? Ich stockte. Wieso sah sie mich? Wieso dieses kleinen Mädchen, warum diese unverbrauchte Seele von Tausenden? Ich verstand nicht und Unsicherheit erfasste mein Herz. In ihren Augen war keine Antwort zu finden, sondern nur Fragen. „Deine Mutter…“, begann ich. In ihren Augen sah ich noch die Tränen trocknen, aber dort schimmerte auch das Verlangen darüber zu sprechen. Reden war etwas, in dem ich nie gut gewesen war. Ich erinnerte mich an die Kellnerin und daran wie ich nur gehofft hatte, sie möge mich allein lassen. Damals hatte ich nicht verstanden, wie wichtig es war, ein fremdes Leben kennen zu lernen. Zu jener Zeit zählte nur die Jagd. „Wo wolltet ihr hin?“, fragte ich und setzte sie ab. Wir hockten uns auf die vorletzte Stufe. Sie hatte die Arme um ihre angewinkelten Beine geschlossen, schien sich daran fest zu halten. „Einfach weg…“, erklärte sie. „Kein spezielles Ziel? Zur Oma, in den Urlaub, irgend so was?“, hakte ich nach. Innerlich erschrak ich vor mir selbst. Was hatte ich für eine Entschuldigung, in den Gefühlen eines Kindes zu wühlen, das wohl gerade den Tod seiner Mutter erlebt hatte. Wieder der Griff zur Zigarette. Alte Gewohnheiten, denen man sich nicht entziehen kann. Als ich langsam den Rauch heraus spie, meinte sie zaghaft:“ Und Du? Wo willst Du hin?“ „Einfach weg…“, erwiderte ich wie von selbst. Sie sah die Stufen hinab und sagte nichts. Was wohl in ihren Kopf vor sich ging? Der Schauplatz des Unfalls war schon längst verschwunden. Man hatte die beiden Fahrzeuge wohl abgeschleppt. Wieso sollte man ein kleines Kind einfach vergessen? Kümmerte sich denn niemand um sie? „Bist du weggelaufen?“, mutmaßte ich. Nach einer Weile, in der nur der Wind durch die Nacht sich schob: Ein Nicken. „Wieso?“ Keine Antwort. Ich legte meinen Arm um ihren Hals und drückte sie an mich. Dann saßen wir einfach dort, vergessen und warteten bis der Andere was sagen würde. „Was ist der Sinn?“, fragte sie plötzlich. „Hmm?“ Ich verstand nicht. Ihr großen Augen, schwarze, große Monde, an den Rändern das Glitzern der Tränen, sagte sie: „Was ist der Sinn des Todes?“ Ich wusste nichts zu sagen. Ich wusste ja nicht einmal, wie ich ihr klar machen sollte, dass ich ihr nicht helfen konnte. „Bitte…“, flehte sie, als wieder nur Stille zwischen uns war. „Aber alles hat eine Bedeutung!“, schrie sie, sprang auf und stierte mich an. Der Wind begann wieder mit ihren Haaren zu spielen und von allen Seiten schien sich die Dunkelheit näher heran zu schleichen. Die Stadt war eingeschlafen. „Ich weiß es nicht….“, antwortete ich lustlos und warf den Zigarettenstummel im weiten Bogen weg. Ihre Augen blieben an mir haften, die Antwort sollte ich ihr nicht schuldig bleiben! „Aber Mutter meinte immer: Alles hat eine Bedeutung!“ Gute Frau, dachte ich, warum hast du deinem Kind nicht die Wahrheit gesagt? „Sogar der Tod“, setzte sie nach. In ihren Augen glommen Hoffnung und Trauer. Warum lügen wir uns immer vor, dass alles einen Sinn hat. In diesem Leben und in anderen, gibt es so viele kleine und große Dinge, die keinen Sinn machen! Macht es Sinn, einfach von heute auf morgen jemanden zu verlieren, der kämpfte, nicht für sich, sondern um Dir ein Lächeln zu schenken? „Ich kann es dir nicht sagen, Kleines! Ich habe zu viel gesehen, um zu verstehen, zu viel drüber nachgedacht um dir die Antwort zu geben, die du suchst.“ Sie stampfte mit dem Fuß auf, warf ihren Kopf zurück und begann davon zu rennen. „So ein Mist!“, fluchte ich. Augenblicke später hatte sie die Dunkelheit verschluckt. Ich nahm zwei Stufen auf einmal, die Straße entlang. Überall gähnende Leere. Der Wind in meinem Nacken, wie eine kalte Hand. Wo war sie hin? „Hey!“, schrie ich. „Halt, bleib hier … Kleines!“ Ich wusste nicht mal ihren Namen. Ich blickte nach links: Eine Wand aus Finsternis. Rechts: Nichts zu finden! Mist! Wohin? Entscheidungen, immer wieder in unserem verdammten Leben. Wenn es die falsche Richtung war, war sie wohl verloren. Was ahnte sie, welch Gestalten in dieser Nacht ihr Unwesen trieben? Sie sollte nicht wie ihre Mutter enden. Nicht jetzt, nicht heute! Ich stolperte die Straße hinunter, an den dunklen Fenstern der geisterhaften Gebäude vorbei, den Mond und die Kirche im Rücken. Schließlich hielt ich inne, lauschte: Nichts, doch dann… Da war etwas. Ein Schluchzen. BIS DIE SONNE ERWACHT UND DAS LEBEN ERLISCHT (Folge 2/10) (2007) - mnebeling.blogspot.com

Das Erwachen im Herzen der Nacht

Grau auf grau, schwarz in schwarz und dazwischen das Leuchten der Hoffnung. Die Nacht fing mich ein zwischen den Betongiganten und irgendwo dort draußen war das kleine Mädchen. Ich lauschte, doch nur Stille, die vom Wind zerstoben wurde, war die Antwort. Wo war sie hin? Meine Augen fanden nur ein dunkles Bild der Einsamkeit. Die Straßen waren leer, der Wind fegte über den Asphalt und die Wände der Häuser boten eine grausige Leinwand für verzerrte Schatten und Dunkelheit. Das Leuchten der Laternen schien im Nichts der Finsternis zu versinken. „Hey! Wo bist du?“, rief ich. Keine Antwort. Wieder der Gedanke: Wieso hatte sie mich sehen können? Was bedeutete das? Ich hatte nicht den blassesten Schimmer, aber klar war, dass ich sie finden musste, bevor es jemand oder etwas anderes tat! Im Rücken den Kirchturm erleuchtet vom Mondglühen, vor mir nur die Schatten dieser Welt, in der ich mich nun befand. Seit damals, seit ich geküsst wurde, das Blut mich verwandelt hatte vom Jäger zum Gejagten, hasste ich sie! Was wusste ich von dieser Welt, die nun meine Heimat bildete? Hatte ich mich doch nicht einmal in der Anderen, in der des Lichts, zu Recht gefunden. Bald, dachte ich, würden sie erwachen, würden die Straßen unsicher machen und irgendwo dort im metropolen Gewirr des Molochs befand sich ein kleines Mädchen, das dem Tod zum ersten Mal begegnet war. Ich hastete los, zwischen den grauen Riesen entlang, im Schatten der Dächer. Der Mond tünchte alles in farblose Blässe, warf Schatten an den Wänden und machte mich rasend, ob seiner Gleichgültigkeit. Die Schritte waren ein dumpfes Geklapper zum Trommeln meines Herzens, das, von böser Magie verzaubert, noch immer schlug! Hin und wieder, zwischen Laternen, deren Licht kalt über meine Gestalt spülte, hielt ich inne, lauschte und sah mich hastig um. Die Zeit rann uns davon! Wenige Minuten später hörte ich schon den aufkommenden Wind und ich wusste, dies bedeutete, dass die Gräber sich öffneten auf den Friedhöfen, dass die Vampire erwachten. Die Zeit der Jagd begann! Es war ein seltsames Gefühl, doch wenn man zwischen ihnen weilt, einer von ihnen ist, spürst Du es! Den Jagdrausch, der durch die Lüfte schwebt, dich mit sich zieht und die Nacht in deinem Herzen blutig leuchten lässt. Und so war es! Ich roch den Duft des Jagdfiebers, schweißig, blutig, dreckig und voller Kraft begann er mich zu umgarnen. Wie immer brachen mir die Muskeln aus, zuckten und es war wie ein Aufbegehren des Monstrums in mir, dass mich verschluckt hatte, von dessen Bann ich noch mit unheiligem Leben erfüllt wurde. Ich versuchte auch dieses Mal, wie schon so viele Monde zuvor, dagegen zu kämpfen. Kontrolle, Disziplin und Hoffnung – ein Mantra, das mich von dem schied, was gerade überall erwachte. Tiefer und tiefer hetzte ich in den Rachen des Asphaltmonstrums. Die Gassen wandten sich Hügel hinauf und herab und noch immer kein Laut, kein Atem, keine Spur von dem kleinen Mädchen. Ich begann laut vor mich hinzu beten, wilde Worte, die in ein zusammenhangloses Gebrabbel verschmolzen. Dann geschah es wieder, ich begann fast zu schweben, die Geschwindigkeit meiner Bewegung wurde ungleich schneller als die Zeit und ich befand mich zwischen dem Jetzt, meiner menschlichen Vergangenheit und der Zukunft, die für mich nur Dunkelheit verhieß. Ich sprang, im Flug wirbelte ich vom Wind wie eine Feder gegen die Wand gedrückt, an ihr entlang. Es war ein Glücksgefühl und es beschämte mich zutiefst. Wie ein kleiner Junge begann ich herum zu tollen, die Suche nach dem Mädchen geriet ins Hintertreffen, die Jagd schob sich in die Mitte meines Seins und der Durst erwachte in mir! Es war ein Tanz der Unendlichkeit, verloren im Schicksal eines Geächteten, einem Gefangenen der Nacht, begann ich einen Flick-Flack zu tanzen. Die unendliche Kraft durchströmte mich und es waren diese Glücksmomente, die so falsch sie auch sein mochten, mich davon abhielten meinem ungerechten Leben ein Ende zu setzen. Ich lebte in der Nacht, ich zog nach ihren Winden und dennoch, gehörte ich nicht dazu! Ich wusste es einfach, ich war ein Vampir, der herrenlos im Wirrwarr des blutigen Pfades, zwischen der Erinnerung an ein Menschenleben und der Verdammnis meiner Gegenwart hin und her wandelte. Ich kannte die Dunkelheit und dennoch fürchtete ich sie. Ich war stark genug, einen Feldzug zu beginnen, mich zu opfern und dennoch hasste ich es. Ich verabscheute die Menschen, weil ich selbst einer gewesen war, zu menschlich, um den richtigen Weg zu gehen. Einst war ich ein Mann der Worte gewesen. Jeden Tag ein Pensum, Worte die mir nichts bedeuteten und in der Zeitung kleine Lückenfüller darstellten. Während die Nacht mich umschlang, begann ich mich, mit schwerem Herzen an die Zeit vor diesem Leben zu erinnern. Bittere Gedanken, Erinnerungen an die Nächte in meiner Kammer, tief gebeugt über das Notizbuch, umgeben von Zeitungsauschnitten, die an Wänden klebten und vom Wind, der durch das Fenster heran zog, zitterten. Das Haar tief ins Gesicht fallend, die Nase nahe am Stift und das Entsetzen in den Gliedern, als ich mehr und mehr, einer Spur folgte, die im Wirrwarr des Alltags ich zu erkennen glaubte. Da waren Morde, die nicht aufgeklärt worden, Menschen die verschwanden. Nichts Besonderes, mochte man denken, in einer Millionenstadt wie New York, aber dennoch, irgendwie glaubte ich nicht an Schicksal und es musste eine Erklärung geben. Doch all das ging viel tiefer. Ich huschte weiter durch die Nacht, zwischen den Betongiganten die Gassen entlang. Doch die Suche war zur Hetzjagd geworden. Plötzlich rauschte in meinem Kopf ein Meer aus Gefühlen, ein Gebräu aus Fragmenten der Vergangenheit und Gedanken an die Zukunft. Was wollte ich? Was war ich? Wo kam ich her? Mein Herz donnerte zu den wilden Schritten. All die Fragen, sie waren tief in mir vergraben, obschon die Antworten mich jede Nacht umgaben und ich mich nicht traute ihnen ins Gesicht zu blicken. Zu sehen, was ich bin, zu verstehen, was ich wollte. Das kleine Mädchen, es ließ mich erwachen aus einem Schlaf der Machtlosigkeit. Ich hielt inne. Wo war sie? Ich lauschte. Nirgendwo konnte ich ihren Atem spüren! Nichtsdestotrotz war die Nacht ein pullsierendens Etwas geworden. Das Erwachen schien in vollem Gange zu sein. Dort links von mir spürte ich einen Schatten, der die Wand eines Gebäudes hinauf wuselte. Lautlos und dennoch konnte ich diese Gier nach Blut spüren. Es traf mich wie ein Faustschlag, dass ich selbst Wände hinauf huschte, selbst jagte. Tage, Wochen, Monate? Wie lang ging all das schon? Ich rannte. Der Wind wischte durch mein Gesicht, über die Narbe am Hals, kalt und gefühllos. Ich wollte wieder vergessen, schrie in die Nacht, heulte um Gnade, wollte dem wiederkehrenden Gedächtnis entfliehen. So viel war geschehen, so viel hatte sich geändert und ich hatte es einfach hingenommen! Ich war schon längst nicht mehr Jäger, sondern Gejagter, doch was blieb noch? Schließlich hielt ich wieder inne und dieses Mal hörte ich sie wimmern. Ich wusste, es konnte nur die kleine, verletzliche Seele sein, die von Leid und Trauer gefangen war. Ich flüsterte: “Keine Angst! Ich bin bei Dir!“ Für einen Augenblick verstummte sie. Aber die Trauer war zu groß. Sie weinte. „Komm her…. Ich will … Dir nur helfen!“, flüsterte ich. Das Wimmern verklang und ich sah ihren Schatten im Licht der Laterne, die gegenüber von mir, die Gasse nur unzureichend erhellte und die Schatten bevorzugte. Der Kraftrausch in mir nahm ein jehes Ende. Als der Schweiß mir über den Körper rann und das Hämmern zwischen den Augen begann, weinte ich. Ohne Tränen, still und verloren. Das kleine Mädchen kam ganz aus seinem Versteck, Schritt um Schritt näher und in ihren Augen sah ich zum ersten Mal in meinem Leben Verständnis. Sie kam zu mir, nahm mich in den Arm, mich eine verlorene, jämmerliche Gestalt und dennoch, ich war dankbar. Zwischen Schmerzen und Trauer glomm ein kleines Flämmchen Hoffnung. Sie drückte mich fest an sich und ich spürte ihren heißen Atem an meinem Gesicht als sie flüsterte: „Weine nicht. Es ist noch nicht zu spät.“ BIS DIE SONNE ERWACHT UND DAS LEBEN ERLISCHT (Folge 3/10) (2007) - mnebeling.blogspot.com
[Fortsetzung folgt!!]
Ihre Stimme für BIS DIE SONNE ERWACHT UND DAS LEBEN ERLISCHT (1/10)
0.0 (0.0 Sterne bei insgesamt 0 abgegebenen Stimmen.)
 (0)   (0)   (0)   (0)   (0)  
Eine Seite zurück. Top Eine Seite weiter.
Freitag, 26. April 2024
Seite:  Serie
User online:  1
Heute:  1
Gestern:  1
Gesamt:  8668  seit 25.10.2011
Statistik zu
BIS DIE SONNE ERWACHT UND DAS LEBEN ERLISCHT (1/10)
Was in "Der Mann in der Menge" begann, ist noch nicht zu Ende…
Kategorie: Serie
Erstellt von: Badfinger
Veröffentlicht am: 03.01.2004 17:20
Geändert am: 21.05.2007 11:00
1421 views bis Oktober 2007
Seit 25.10.2011
1867 views
Kommentare (0)