DUNKLE WOLKEN ÜBER DER STADT

4 Mittagspause

12:11 Uhr

Randy lag in der Stube und die fette Ernestine kümmerte sich um den Hund, als wäre er ein Baby. Doch Randy wollte hier raus. Nicht, dass er die alte Frau nicht mochte, aber sein Instinkt drängte ihn dazu, diese Wohnung zu verlassen und nach Ben zu suchen. Sein Instinkt verriet ihm, dass sich der Junge in Gefahr befand. Aber wie sollte er hier raus kommen? Die fette Ernie kraulte ihn hinter den Ohren und er ließ es sich gefallen. Jetzt setzte er sich auf die Hinterbeine und bellte sie an. Im ersten Moment schreckte sie zurück, aber dann schien sie zu begreifen, dass der Hund ihr was sagen wollte. "Was ist denn, mein Kleiner?", fragte sie mit krächzender Stimme. Der Fernseher lief noch und gerade gewann eine Frau ein Auto. Der Jubel wurde aber trotzdem von dem Gebell des Hundes übertönt. Randy sprang ihr vom Schoß und lief schnell durch den Flur zur Tür und bellte wieder laut. "Ich komme ja, mein Kleiner!", rief die alte Frau und watschelte mit ihren dicken Beinen in den Flur. Randy sprang hin und her, bis sie begriff, was er wollte "Du gehörst Jemanden, stimmt’s?", fragte sie resigniert. "Wenn ich dich jetzt gehen lasse, besuchst du mich dann auch mal?" Randy schleckte ihre Hand ab, die sie ihm runter hielt. "Na gut. Ich kann dich ja verstehen. Es war schön das du gekommen bist.", verabschiedete sich die alte Frau und eine Träne kullerte ihre Wange herunter. Wie lange war sie hier schon alleine? Randy bellte erfreut, als sie die Tür öffnete und er drehte sich noch einmal um die eigene Achse, marschierte dann aber die Treppen herunter. "Bitte komm mal wieder vorbei!", rief ihm die fette Ernie nach. Er stupste unten mit der Schnauze die Tür auf und trat in den Regen. In wenigen Augenblicken war sein Fell wieder mit Wasser voll gesogen. Er machte sich auf die Suche.

12:37 Uhr

Der magere Schäferhund zitterte leicht und die Kette klapperte auf dem Asphalt. Regentropfen platschten dicht vor ihm vom Dach der Tankstelle herunter. Blitze durchzuckten den Himmel und der Donner jagte ihm jedes Mal einen Schrecken ein. Der Hund hieß Jim und er hatte heute wirklich noch nicht gefrühstückt. Deswegen fühlte er sich auch so elend. Gegenüberliegend der Tankstelle mit ihren vier Tanksäulen stand eine große, alte Eiche. In den Sommermonaten suchte Jim immer ihren Schatten. Doch jetzt fielen von den Blättern der Eiche ebenfalls nur dicke, graue Tropfen herunter. Es roch nach Ozon und der Schäferhund fühlte sich wie ein Obdachloser sich an so einem Tag fühlen würde. Richard Papperman saß im Tankhäuschen und hörte etwas Musik. Er vergaß seinen Hund oft und manchmal kam es vor, dass der arme Schäferhund nur eine Mahlzeit pro Woche bekam. Doch Jim nahm das seinem immer grimmigen Herrchen nicht übel. Er kannte ihn zu gut, um zu wissen, dass das Alter den armen Kerl zu so einem Stinkstiefel machte. Richard Papperman hatte nie geheiratet. Nun erinnerte er sich doch daran, dass er vor lauter Aufregung über diesen Samson und diese komische Journalistin seinen Jimmy ganz vergessen hatte. "Ja, mein Kleiner. Richie macht dir jetzt was zu essen.", brummte er vor sich hin und erhob sich. Er schlurfte in die Küche und bereitete das Fressen für den Hund zu. Jim legte sich wieder auf den kalten und nassen Beton. Er blickte gelangweilt um sich und bemerkte zu Frieden stellend, dass keine Katze oder ein anderes Wesen sich in seinem Terrain aufhielt. Er versuchte ein bisschen zu dösen und das monotone Geräusch der nieder platschenden Regentropfen lullte ihn ein. Blitzartig schreckte er durch ein dunkles, donnerndes Grollen auf und winselte. Ein Blitz schoss durch den Himmel und schien ihn in zwei große Hälften zu spalten. Der Blitz fuhr mit einem Augenblick in den Baum und spaltete krachend den Stamm der alten Eiche. Große Holzsplitter stoben davon und landeten auf dem Rasen und auf der Straße. Einer flog sogar bis vor die Vorderpfoten des Hundes. Mit einem lauten Ächzen knallte die erste Hälfte des Baumes auf den Rasen. Ein herrischer Donner begleitete ihren Aufprall. Die zweite Hälfte knarrte und gab ächzend nach. Die Krone des Baumes kippte rasant der Straße und der Tankstelle entgegen. Instinktiv heulte Jim so laut, dass Richard aufgeschreckt zur Tür raus kam, als der Baumstamm gerade auf das Dach der Tankstelle scheppernd aufprallte. Der Hund zog den erstarrten Tankwart weg, riss an seinem Hosenbein und brachte ihn etwa fünfzig Meter weiter im Graben in Sicherheit, als das Dach unter Last des Baumes nachgab. Richard drückte seinen Hund zu Boden, als der Baum durch das Dach brach und mit voller Wucht auf die noch eingeschalteten Tanksäulen knallte. Eine donnerte Explosion zerriss den Baumstamm in große Splitter, die in der Gegend herumflogen. Die Fenster wurden durch die Explosionswucht in tausende Teile gedrückt. Die Fensterläden brachen mit enormer Kraft herraus und die Tankstelle stand in Flammen. Eine weitere Explosion ließ den alten Ford Pick-up von Papperman in die Luft fliegen. In wenigen Augenblicken war die Tankstelle nur noch ein Inferno der Zerstörung. Holzsplitter, Glasscheiben, zerbröckelte Steine, leicht geschmolzenes Eisen flogen auf die Straße oder auf den Rasen. Eine Wand des angebauten Hauses stand in Brand und fiel in sich zusammen. Als Richard wieder aufsah und die Zerstörung entdeckte, schluchzte er in das Fell des Hundes. Eine dicke schwarze Rauchwolke stieg aus dem Flammenmeer nach oben. Für die Feuerwehr gab es nichts mehr zu retten. Weinend blieb Richard im Graben neben seinem Schäferhund liegen. Der stark zu nehmende Wind fachte das Feuer immer mehr an und es griff auf den Rasen über und züngelte über die Landschaft, kurz vor Dalton.

12: 58 Uhr

Ben saß am Mittagstisch und starrte sein Essen an. Die Nudeln waren schon etwas kalt und die Tomatensauce ebenfalls. Aber er konnte sie nicht essen. Wenn es auch sein Leibgericht war. Immer wieder musste er an den frühen Morgen denken, an dem Randy sich aus dem Staub gemacht hatte. Zwar tat der Kleine das öfters, aber er kam dann so nach zwei, drei Stunden wieder reumütig zurück und legte sich in sein Körbchen. Doch jetzt war es kurz vor dreizehn Uhr und der Mischling ließ sich immer noch nicht blicken. Auch Bens Eltern saßen betrübt am Mittagstisch. Sie aßen ihre Spaghetti, aber keiner sagte ein Wort. Henk blickte starr gerade aus und kaute griesgrämig. Doch ihm war es auch nicht geheuer, dass der Hund immer noch nicht da war. Und dann auch noch bei so einem schlechten Wetter, dachte er. Mit einem Mal vernahmen sie ein lautes, heiseres Bellen. Ben schreckte hoch, schob hastig den Stuhl nach hinten, bis er dann umfiel. Der kleine Junge rannte der Haustür entgegen und als er sie öffnete entdeckte er seinen Hund. Sein Fell war nass und zerzaust, aber das störte Ben nicht. Er nahm den ihn mit rein und schlang seine arme um den Hund. Seine Eltern kamen auch dazu und blickten sich freudig an. Sie gaben dem Hund was zu fressen und zu saufen. Ben passte auf ihn auf, damit er nicht noch einmal weglief. Jetzt schmeckten ihm auch seine Spaghetti und sie alle fühlten sich wieder als eine richtige, ganze Familie.

5 Nachmittag

13:10 Uhr

Der immer mehr zu nehmende Wind treib die Flammen zu einer Feuerwand zusammen, die sich als Ziel Dalton aussuchte. Die Feuerwehrmänner kämpften schon seit Stunden gegen die Feuerwand an, aber nichts half. Sie kam wie eine riesige Flutwelle auf Dalton zu; teilte sich und umzingelte das kleine Städtchen mit seinen Sechshundert Seelen. Einer der hier kämpfenden Feuerwehrmänner war Andrew Tackerman. Sein Haar war angesenkt, sein Gesicht schwarz und seine Augen glühten. Er fieberte leicht vor sich hin und fühlte sich immer schwächer. Wie seine anderen Kumpanen auch. Doch er wollte sich dem Feuer nicht er geben. Er musste immer wieder an damals denken, als er seine Kinder und seine Frau bei einem Brand verlor. Und jetzt sollte er den Kampf gegen dieses Inferno verlieren. Nein, nie und nimmer!, dachte er. Er würde nicht aufgeben. Eher sterben. Denn wenn sie dieses Feuer nicht aufhielten, dann würde es bald in Dalton ein riesiges Feuerwerk geben. Sicher, das Anwesen der Tanner konnten sie nicht retten, aber jetzt würden sie eine ganze Stadt retten. Sie mussten es schaffen. Sie mussten!

13:25 Uhr

Stuart saß an seinem Computer, ungeachtet des Gewitters. Aber er bekam keinen ordentlichen Satz zu hin. Immer wieder löschte er ihn und schrieb ihn neu. Seine Gedanken überlagerten sich. Einmal dachte er an eine neue Version des Satzes und zur gleichen Zeit schoss ihm ein Wort durch den Kopf, was er nicht verstand. Es war, als ob er in den Spiegel sah und das Wort verkehrt herum an ihm vorbei flog. Er war nie gut in spiegelverkerten Wörtern gewesen. Solche Rätselspiele mochte er überhaupt nicht. Aber sein Geist spielte es einfach mit ihm. Das Wort hieß TSAM. Aber was war dieses Wort. Wie er sich auch anstrengte. Wenn er es fast entzifferte, was ihn durch zu nehmende Kopfschmerz noch schwerer fiel, dann zuckte ein Satz für seinen Roman durch den Kopf. Stell' doch die Kiste aus und ruh' dich aus. Dann kommst du vielleicht auf die Lösung! Aber er wollte den Computer nicht ausstellen, denn dieser eine Satz war das Ende eines Kapitels, das ihm sehr am Herzen lag. Doch seine Kopfschmerzen ließen nicht nach. Er überlegte und sprach sich diesmal den Satz laut vor. "Der Fahrer stieg ins Auto und..." (TSAM!!) "...und, ach Mist!", rief er ärgerlich. Wieder war dieses komische Wort dazwischen gefunkt. Wie sollte er da einen ordentlichen Satz zu Stande kriegen? Er sah kurz aus dem Fenster. Dicke, fette Regentropfen perlten am Fenster herunter und ein starker Wind fegte die Straße und ließ ein kleines Wellenmeer entstehen. Den Strommast direkt vor seinem Fenster nahm er gar nicht zur Kenntnis, weil er sich an ihn schon gewöhnt hatte. Stu lehnte sich zurück und grübelte über dieses komische Wort nach. Er dachte, wenn er es verstehen würde, dann ließ es ihn vielleicht in Ruhe. Was kann nur TSAM bedeuten. Es könnte spiegelverkert sein, nicht Stu? Aber du magst ja keine spiegelverkerten Rätsel, deshalb fällt dir auch die Lösung so schwer. "Kann schon sein.", murmelte er. (TSAM!!) Doch er machte sich wirklich die Mühe es entziffern zu können. Er tippte es in den Computer ein. Anschließend ließ er das Wort auf sich einwirken und als er es verstand, da wurde ihm plötzlich so komisch. Er fühlte sich leer und hilflos. Aber das Gefühl verging genauso schnell, wie es gekommen war. "Man, es heißt Mast.", staunte er. In diesem Augenblick blitze es und mit einem krachenden Donner kippte der Mast draußen um und kam auf sein Fenster zu. Stuart wollte aufstehen und flüchten, aber er kippte mit dem Stuhl rückwärts um und landete hart auf dem Boden. Die Fensterscheibe wurde zerschmettert, der Rahmen heraus gerissen und der Mast schoss herein, zerschmetterte den Monitor, der implodierte. Stuart heilt sich die Ohren zu und kniff die Augen zusammen. Der Mast zischte weiter gegen die Wand, die bröckelte, aber stand heilt. Dann war Ruhe. Nur noch der Wind wehte durch das Zimmer und die Gardinen flatterten. Ein leises Summen vom implodierten Monitor und ein verschmorter Geruch von Plastik erfüllten den Raum. Blitzartig schrie Stuart wie am Spieß. Er sah an seinem Bein herunter, das vom Mast gequetscht wurde. Tiefer, bohrender Schmerz ging von der Stelle aus, wo der Mast drauf lag. Ansonsten war Stuart frei. Er konnte alles bewegen, außer sein rechtes Bein. Die Schmerzen waren kaum auszuhalten. Aber er biss die Zähne zusammen und dachte immer wieder. In der Ruhe liegt die Kraft, in der Ruhe liegt die Kraft! Doch das half nicht als zu lange, dann schrie er wieder. Er vernahm auf einmal hastige Schritte, die Treppe hinauf. "Betty! Hilfe! Betty!", schrie er laut und verzog das Gesicht vor Schmerzen. Die Tür wurde aufgestoßen und Betty sah ihn mit großen Augen an. Sie hatte eine Schürze an und an ihren Händen klebte Mehl. Sie wollte ja heute einen Kuchen backen, dachte Stuart. Betty stürzte zu ihm und kniete sich vor sein Gesicht. Sie sah ihn fragend an und Tränen rannen an ihrer Wange herunter. Sie stand unter Schock. "Mein Bein ist eingeklemmt, Liebling.", sagte er. Sie betrachtete ihn und nickte. "Ich hol' Hilfe. Hälst du es noch aus?", fragte sie weinerlich. "Ja. Aber beeil' dich. Wenn der Mast irgendwie verrutscht, dann-" Sie strich ihm durchs Haar, das dadurch weiß von Mehl wurde und rannte los. Stuart biss sich wieder auf die Zähne und begann rückwärts zu zählen, um sich abzulenken.

13:40 Uhr

Betty rannte die Treppe hinunter, unterwegs zog sie die Schürze aus und ließ sie einfach auf den Boden fallen. Sie riss die Haustür auf und rannte über die Straße zum gegenüberliegenden Haus. Kurz sah sie sich den Mast an, der oben gebrochen und ins Fenster gekippt war. Sie nahm die Schaulustigen hinter ihren Fenstern gar nicht war. Ebenfalls registrierte sie den starken Wind und den Regen überhaupt nicht. Betty drückte die Klingel dreimal kurz durch, bis die Tür geöffnet wurde. "Mein Mann, der ist eingeklemmt, Mr. Holsten!", rief sie. "Was, wie, wo?", entgegnete Holsten verstört. „Na der Mast", sagte sie und zeigte mit der flachen Hand zum Mast. "Ist ihrem Mann etwas passiert?", begriff Holsten. "Er ist eingeklemmt! Sein Bein!" "Ich hole noch ein paar Männer, dann komme ich! Gehen sie wieder zu ihrem Mann.", befahl Holsten und nahm sich eine Jacke vom Harken. Betty folgte seiner Aufforderung und Holsten rannte die Straße hinunter.

13:50 Uhr

Stuart biss zwar die Zähne zusammen, aber der Schmerz war enorm. Er wimmerte vor sich hin und wünschte sich seine Freundin herbei. Dann hörte er wieder Schritte und blickte nach oben, der offenen Tür entgegen. Betty erschien und kniete sich zu ihm. "Holsten besorgt Hilfe, Stu. Ich bleibe jetzt bei dir." Ihre Stimme war wieder fest und entschlossen. Stuart nickte nur und sie strich durch sein dichtes Haar. Der Mast hatte etwa den Durchmesser eines jungen Baumes und musste sehr schwer sein. Sie sah den Schrott und die wehenden Gardinen. Irgendwie fühlte sie sich in einen Alptraum versetzt. Ihr war plötzlich kalt. 13:55 Uhr Holsten trommelte ein paar Männer zusammen. Sie hatten sich mit einer Säge und anderen Werkzeugen bewaffnet. Einige Leute kamen auf die Straße, andere folgten ihnen durch den Regen. Der immer stärker werdende Wind ließ Papierkörbe, Mülltonnen und Plakate durch die Straßen fliegen. Zwar tief am Boden, aber die Kraft war schon erschreckend. Sie waren fast da, als ihnen ein Jeep Wrangler entgegen kam. Alle blieben stehen und warteten ab, wer der Fahrer des gerade haltenden Wagens sein würde. Ein junger Mann stieg aus dem Wagen und kam ihnen ein paar Schritte entgegen. "Wo wollt ihr hin? Ist was passiert?", fragte er. Holsten übernahm die Erklärung: "Bei den Randolfs ist ein Mast rein gestürzt. Der Mann ist verletzt und muss befreit werden" „Okay, wir kommen mit.", erwiderte der Fahrer. Sie gingen weiter und der Jeep folgte ihnen im Schritttempo.

14:10 Uhr

Als sie oben im Zimmer ankamen, fanden sie Betty, Stuart und den örtlichen Arzt, der sich um Stuart kümmerte, so gut es ging. Stu lag auf dem Boden, sein rechtes Bein wurde von dem riesigen Mast gequetscht, der gegen die Wand zeigte. Der Arzt legte laufend neue Waschlappen auf Stu's Stirn und Betty machte sie immer wieder am hinteren Waschbecken, das glücklicher Weise nicht beschädigt war, mit kalten Wasser nass. Stuart lispelte vor sich hin und schien nicht mehr richtig anwesend zu sein. „Wie schlimm ist es?", fragte Samson, der mit Luise und John Sellers die Stadt im Wrangler verlassen wollte. "Das Bein ist wahrscheinlich gebrochen und müsste schnellstens behandelt werden.", erklärte Michael Levingston, der örtliche Arzt. "Wie könnten ihn vom Mast befreien.", schlug einer von Holstens Truppe vor. "Ja, aber es muss äußerste Vorsicht wallten.", entgegnete Dr. Levingston. Betty kam gerade wieder mit drei kalten Waschlappen und wechselte sie. Stu's Augen waren zugekniffen, aber er lächelte, als sie sich über ihn beugte. Sie strich ihm wieder durchs Haar und flüsterte: "Es wird alles wieder gut, Stu. Alles wird wieder gut. Die holen dich hier schon raus." Betty kam sein Lächeln irgendwie breiter vor, als sie das sagte. Aber so sicher war sie sich nicht, ob sie ihn hier wieder rausholen würden. Ob sie es schaffen würden. Luise kam auf Betty zu und fragte, ob sie ihr irgendwie helfen konnte. "Es wäre nett, wenn sie die Waschlappen immer nass machen, damit ich bei Stu sein kann. Aber nur wenn es ihnen nichts ausmacht.", entgegnete sie. "Kein Problem." "Okay, wir holen ihn da raus!", beschloss einer aus Holstens Truppe. Sie stellten sich um den Mast und versuchten ihn etwas zu heben, aber sie waren zu wenig. Samson und John packten mit an, aber auch sie konnten nicht viel ausrichten. Holsten ging an ein unbeschädigtes Fenster, öffnete es und rief: "Wir brauchten noch ein paar Männer hier oben." "Ja, wir kommen!", war die Antwort. Noch Mal zehn Männer stapften die Treppe hinauf und packten mit an. Sie hoben den Mast leicht, aber noch passte Stu's Fuß nicht durch. Sie verteilten ihr Körpergewicht, aber es reichte immer noch nicht. Sie versuchten ihn etwas zu verschieben, aber dafür waren sie eindeutig zu wenig oder zu schwach... Unwillig ließen sie den Mast langsam sinken und Stu schrie kurz auf. Einige kratzten sich an der Stirn, andere fuhren sich mit der Hand durch die Haare. "Dann bleibt wohl doch nur die Säge.", stellte Holsten fest und die andern nickten bedächtig. "Und wenn wir nur ein kleinen Teil absägen, so dass es leichter wird?", schlug John vor. Dr. Levingston nickte. "Wir versuchen es.", stimmten Einige zu. Also machten sie sich an die Arbeit. Sie wechselten sich beim sägen ab und nach etwa zehn Minuten hatten sie ein Stück von etwa 200 Zentimetern abgesägt. Sie versuchten es wieder, verteilten sich, so gut es ging und hoben an. Der Mast ließ sich höher heben und Dr. Levingston, Betty und Luise zerrten Stu hervor. Als Randolf befreit war, ließen sie jubelnd den Mast fallen und kamen zu dem Verletzten, der dankbar und erlöst um sich blickte. Betty fiel Holsten um den Hals und die anderen lachten.

14:25 Uhr

Kurz vor Dalton bildete sich nun auch eine Sturmwand, wie es Samson genannt hatte. Sie sah irgendwie wirklich wie eine Wand aus, war dreckig und dunkel. Staub, Hölzchen und anderer Unrat wirbelten um das Phänomen herum. Und es bewegte sich Formationsweise vorwärts. Mal ähnelte es dem Schlund eines Taifuns und mal sah es wie eine riesige Flutwelle aus. Nun wütete die Sturmwand nicht allein. Sie schickte das Feuer voraus und dieses Feuer fackelte direkt auf Dalton zu. Die Tankstelle von Richard Papperman war schon längst nicht mehr zu sehen, sie wurde von der Sturmwand verschluckt. Richard und sein Schäferhund Jim rannten so schnell sie konnten vor dem Feuer davon. Irgendwie hatten sie das Gefühl von den Flammen voran geschoben zu werden. Das Fell des Hundes war versenkt und die wenigen Haare, die Richard noch gehabt hatte, waren auch hinüber. Sie rannten um ihr Leben dem Ortsschild entgegen und Richard rief immer wieder: "FEUER! FEUER!"

14:36 Uhr

Als Ben in seinem Zimmer auf dem Bett saß und in einem Buch las, während Randy laufend hin und her tippelte, fiel der Strom aus. Plötzlich war es ganz dunkel, sie konnten gerade noch so einen schemenhaften Umriss voneinander erkennen. Randy winselte kurz und bellte dann. "Mom?" „Dad?!", rief Ben, der sich fürchtete. In dem gleichen Augenblick, als sein Hund noch einmal bellte, zuckte ein Blitz am Fenster entlang und erhellte kurz den Raum. Jetzt kam Ben die klopfenden Regentropfen viel lauter und irgendwie flehender vor. Als ob sie um Einlass baten. Aber der Junge schüttelte schnell den komischen Gedanken ab und überlegte, was er jetzt tun sollte. "Ben? Ben! Geht es dir gut? Ist Randy bei dir?", hörte er die Stimme seiner Mutter. "Ja Mom. Ich bin hier oben im Zimmer mit Randy.", rief er. Randy bellte abermals, diesmal aber zustimmend. Ben stand vom Bett auf, ließ das Buch fallen, und ging in die Richtung, wo er die Tür vermutete. Etwas glitzerndes bestätigte seine Erinnerung. Es war die Türklinke. Randy war dicht bei seinem Herrchen und passte auf ihn auf. Er ängstigte sich nicht mehr, seine Sinne strafften sich. Ben rief wieder: "Mom!" "Ja hier unten, pass aber auf die Treppen auf, mein Sohn!" Ben tastete sich leicht vor und kam an die erste, obere Stufe der Treppe. Mit einem vorsichtigen Schritt tastete er sich in der Dunkelheit voran. Die Regentropfen, die in seinem Zimmer an die Scheibe klopften, hörten sich jetzt wie leises Flüstern an. Ein erneuter Blitz erhellte die Wohnung leicht und Ben erschrak kurz. Doch er stolperte nicht. Seine Hände fasten sich fester an das Geländer und der kleine Junge tastete sich Schritt für Schritt vorwärts. Doch auf einmal verlor er aus irgendeinen Grund den Halt und stürzte vorn über, machte eine Rolle über die Stufen, schrie laut um Hilfe und vernahm das Bellen von Randy. "MAMMA! MAMMA!" Randy sprang schnell die Stufen hinunter, schneller als Ben stürzte und wartete auf den Jungen, der in einem Bruchteil einer Sekunde unten ankam, auf dem Hund. Er winselte kurz und Ben rappelte sich so schnell er konnte auf. Hätte der Hund ihn nicht gestoppt, dann wäre er direkt gegen die Wand geknallt. Bens Eltern kamen angerannt, soweit sie sich vortasten konnten und die Mutter nahm den Jungen in den Arm. "Alles in Ordnung?" "Ja, wenn Ben nicht gewesen wäre, dann weiß ich nicht, wie ich hier unten angekommen wäre." Sie streichelten Randy und begannen mit der Suche nach Kerzen.

14:50 Uhr

Ernestine saß im Dunkeln vor ihrem Fernseher und fürchtete die Stille, mit der ihr Wohnzimmer erfüllt war. Ab und zu wurde das Zimmer kurz von Blitzen erhellt und die Stille von einem donnernden Grollen gestört. Die Augen der fetten Ernie waren mit zwei heißen Tränen gefüllt, die nun aber langsam die runzlige Wange herunter rannen. Sie tastete in ihrer Schürzentasche (Sie trug im Haus immer eine Schürze.) nach ihrem Taschentuch und schniefte laut. Doch das Weinen hörte nicht auf. Ihre fette Haut zitterte, denn sie ängstigte sich Sie musste an den Hund denken, und dieser Gedanke zauberte ein kurzes, breites Lächeln hervor. Sie stand auf und tastete sich mit ausgestreckten Händen durch das Wohnzimmer. Einmal stieß sie sich an einem kleinen Tisch, wo das Telefon drauf stand und sie zog laut die Luft ein. Sie ging weiter und ihre Alpträume, die sie schon jahrelang träumte, schienen plötzlich bittere Realität zu werden. Mit einem Mal sah sie einen grün gestreiften Tiger auf sich zu kommen und sie wimmerte vor sich hin. "Bitte, bitte nicht!" Aber der Tiger fletschte die spitzen weißen REISSZÄHNE und sie blinkten wie Stahl an den unteren Kanten kurz auf. Jetzt flossen dicke, salzige Tränen über ihre runzligen Wangen. Auf einmal verwandelte sich, vom einem schmatzenden Geräusch begleitet, in ein grünes Ding, das sich als ein Panzer mit grün, dunkelgrün gestreiftem Panzerrohr. Der Panzer wurde urplötzlich immer größer und größer und eine Luke öffnete sich und ein Gerippe stieg hervor. Es war...es war... (ihr Mann?) ein Soldat, mit einer Panzerfaust. Er lächelte, seine verfaulten Zähne zeigten sich und Ernestine schrie so laut, wie sie nur konnte. Das Bild blätterte wie von einer unsichtbaren Wand ab und verschwand. Doch sie schrie immer noch, als sie plötzlich ein Klopfen vernahm. "Ja.", krächzte Ernestine. Ihr Herz schien ihr in die Hose zu rutschen, als sich in diesem Augenblick ihre Hand auf den Türgriff legte, um sie zu öffnen. Der Tiger erschien, der Panzer, das Gerippe, - dann war alles weg. Es war nur die Nachbarin, mit einer Kerze in der Hand. In ihrem grauen Haar steckten Lockenwickler und sie sah wie Wilma Feuerstein aus. Die fette Ernie beruhigte sich wieder. "Ich wollte fragen, ob sie so lange zu uns kommen? Solange wie der Strom weg ist.", erklärte ihre sie. Die Idee fand Ernestine nicht nur gut, sondern vorzüglich und überaus notwendig. Sie willigte ein. Ernestine wollte nicht mehr in ihre Wohnung zurück.

15:07 Uhr

Little Cloud, Rebekka Tanner und Rolf Carson trauten sich nun doch nicht so richtig die Stadt zu verlassen. Auf der einen Seite fanden sie es Recht und gut und auf der anderen feige und billig. Sie saßen im Laden und tranken Kaffee und aßen Kuchen. Doch nun wollte keiner mehr was. Der Strom fehlte zwar, aber es war noch ein klein wenig Licht im Laden und man konnte einander erkennen. "Ich glaube wir sollten uns jetzt endlich entscheiden.", meinte Rolf. "Hm", machte Cloud. "Irgendwie ist es aber nicht richtig.", warf 'Becka ein. "Aber Samson hat es uns ausdrücklich angeraten die Stadt zu verlassen. Und das war vor etwa zwei Stunden.", lautete das Gegenargument des Ladenbesitzers. "Wir sitzen hier nur rum, weil wir Angst vor der Welt da draußen haben.", brachte Little Cloud die Sache auf den Punkt. Und das stimmte ja auch. Sie saßen hier und unterhielten sich, was sie machen könnten und was nicht. Wovor sie Angst hatten und wovor nicht. Aber dagegen unternahmen sie nichts. Betroffenes Schweigen trat ein. "Am Besten wir trennen uns und suchen nach den andren, okay?", schlug Rebekka vor. "Das ist vielleicht das Vernünftigste, was mir machen können.", überlegte Rolf Carson laut und richtete den Blick auf Little Cloud, der seine Meinung noch preisgeben sollte. Der alte Indianer nickte nur und sie machten sich auf den Weg.

15:19 Uhr

Die Feuerwehr kämpfte immer noch gegen die Flammen an, aber sie konnte sie nicht unter Kontrolle zwingen. Es existierten schon Gerüchte über einen Feuerkessel, der sich um Dalton bildete. Andere meinten, das wäre Schwachsinn. Aber Andrew Tackerman glaubte an einen Feuerkessel. Dieses elende Feuer lässt sich viel einfallen, aber mit mir wird es nicht fertig werden. NEIN! NEIN! Andrew ging zum Kommandanten und meldete, dass in seiner Sektion das Feuer unter Kontrolle gebracht sei. Ja stimmte schon, aber es gab noch eine Menge zu tun "Aber Chief, wir müssen sicher gehen, ob Dalton nicht wirklich vom Feuer umkreist wird." Der Kommandant musterte ihn und schüttelte den Kopf. "Aber..." "Kein Aber. Sie werden hier gebraucht und außerdem glaube ich es nicht! BASTA!", brüllte der Kommandant. Tackerman fügte sich missmutig diesem Standpunkt.

15:25 Uhr

Am westlichen Ende von Dalton gab es ein großes Lager der hiesigen Baugesellschaft. In diesem Lager wurden Ziegel, Beton und andere Arbeitsmittel gelagert. Doch unter anderem befanden sich in im hinteren Teil der Lagerhalle einige Kisten mit der Aufschrift: E X P L O S I V Und nun hörte man von weitem einen Ruf, der immer näher kam. Man konnte ihn kaum verstehen und es hörte ihn auch keiner. Höchstens die Holzwürmer in den Holzschindeln der Lagerhalle. Ansonsten waren die Straßen, wo sich auch die Lagerhalle befand, leer. Zwar fegte der Wind den Regen in Wellen den Asphalt entlang, aber es war keine Menschenseele zu sehen. "....ER!, verstand man nur. Dieser Ruf kam immer näher. Aber es vernahm ihn nun doch jemand. Rebekka Tanner hörte ihn und folgte diesem Schrei. Sie vernahm immer wieder Wortfetzen und sie glaubte, dass der Besitzer dieser Stimme in Gefahr war. Sie rannte die Straße entlang, durch das Regenwasser, das von ihren Füßen wegspritzte und ihre Haare wellten sich wieder in alle Richtungen. Es donnerte und blitzte immer noch, aber den Schrei konnte sie trotzdem hören. Der Regen wurde schwächer und sie glaubte er würde bald aufhören. "EER!", klang der Schrei wieder an ihr Ohr. Ihr Verstand brachte nur ein großes, fettes Fragezeichen zu Stande. Nun hatte sie schon Seitenstechen, aber der Schrei treib sie zum Weiterrennen an. Als sie um eine Kurve bog, die Lagerhalle war ungefähr fünfzig Meter entfernt von ihr, blieb sie auf einmal wie angewurzelt stehen und starrte gerade aus. Ihr Mund bildete ein großes O. Ein Mann, hinter ihm eine riesige Feuerwand, und ein Hund rannten wie gehetzte Tiere die Straße entlang. Die Flammen züngelten hinter ihnen empor und schienen sich langsam durch das Gras zu fressen, trotz der Feuchtigkeit. Die Hitze war unausstehlich und die beiden sahen schrecklich aus. Das Fell des Schäferhunds war nur noch schwarz und zerrupft. Der Mann sah nicht besser aus. Und plötzlich verstand Rebekka den Ruf. "FEUER! FEUER! FEUER!", schrie der Mann, wie im Wahn. Rebekka lief nun ihm und dem Hund entgegen. Sie tauchte in eine Hitze, dass sie glaubte, sie würde jeden Moment in Flammen stehen. Doch sie gab nicht auf. Als sie vor dem Mann stand, blieb er stehen. "FEUER! DAS FEUER KOMMT!", brachte er hervor. Er sie an und der Schäferhund bellte und knurrte als Zustimmung. Rebekka nickte und versuchte ihn zu stützen, doch er ließ sich nicht helfen. "WARNEN SIE DIE ANDEREN! SIE MÜSSEN RAUS AUS DER STADT!", keifte er sie an und schlug nach ihr. Die Feuerwand kam langsam, aber unaufhaltsam, immer näher. Sie versuchte noch einmal den Mann zu stützen und er schlug sie wieder. Er war am Ende seiner Kräfte und er wollte sterben. Doch Rebekka konnte es nicht zulassen. Sie stütze ihn, während er wie wild auf sie einschlug. "LASSEN SIE DAS!", schrie er, wie am Spieß. Schritt für Schritt und schleppend kamen sie vornan, das Feuer dicht hinter ihnen, als Rebekka ein paar Männer aus der Stadt entdeckte, die angerannt kamen. Es versammelten sich nun Frauen, Kinder und ihre Männer auf der Straße, dicht bei der Lagerhalle, und starrten in die Richtung, wo Rebekka mit aller Kraft versuchte den Mann zu befreien. Die Männer kamen angehetzt und stützten nun den Mann auf beiden Seiten und er gab es auf um sich zu schlagen. Rebekka war froh, dass sie ihn noch gerettet hatte. Der Schäferhund blickte sie kurz, aber dankend an. Doch die eigentliche Gefahr, die hinter ihnen in züngelnden Flammenwänden auf das kleine Städtchen zukam, begriffen sie jetzt erst. Rebekka rannte zu den Leuten, die auf der Straße standen und sich angeregt unterhielten und in die Richtung des Feuers sahen. "IHR MÜSST DIE STADT VERLASSEN! ALLES WEG HIER!", schrie sie jetzt selber. Die erste Reaktion der Menschen war, dass sie sich ungläubig ansahen. Und dann, als sie begriffen, schrieen sie wild durcheinander und hetzten in alle Richtungen. Panik breitete sich aus. Die Kinder wurden von ihren Müttern gezogen, dass sie fast stürzten und keiner wusste eigentlich, wo er hin sollte. Es fehlte eine Führungskraft. Die Männer, die Papperman schleppten waren nun auch schon da und hatten es ebenfalls gehört. Sie lehnten den Mann gegen eine Hauswand und rannten einfach zu ihren Familien. Fassungslos beobachtete Rebekka ihre Reaktionen. Einige rannten ins Haus und holten ein paar Sachen, andere fuhren den Wagen aus der Garage, wieder andere standen nur rum und sahen hilflos umher. Ihnen wurde nicht einmal bewusst, dass es nicht mehr regnete, blitzte und donnerte. Dafür kam ein starker Wind aus der Richtung, wo der Flammenherd sich für die Zerstörung von Dalton rüstete. Der Schäferhund saß neben seinem Herrchen und legte die rechte Vorderpfote auf sein Bein und der Mann lächelte leicht. Doch er bewegte sich nicht ohne sein Gesicht zu verziehen. Sicher musste er starke Schmerzen ertragen. Rebekka ging zu ihm und kniete sich neben den Hund. Beide stanken sie nach verschmorten und verbrannten Plastik und Holz. „Wer sind Sie?", fragte Rebekka und beachtete nicht mehr die Menschen, die wild um sich schrien oder die klappernden Töpfe, die aus den Häusern geholt wurden oder auch die brummenden Motoren der Autos. "Mein Name ist Richard Papperman, der Tankstellenbesitzer.", antwortete er und hustete und spuckte etwas Schleim auf die Jacke. Der Schäferhund winselte und Rebekka streichelte ihn. Richard beobachtete sie lächelnd und versuchte wieder etwas zu sagen. "Ganz ruhig.", bat ihn 'Becka. "Habe ich es noch geschafft? Ja? Habe ich es noch geschafft?" "Ja.", sagte Rebekka trocken. Die Flammen mussten schon verdammt nah sein, denn die Hitze wurde immer unerträglicher. Ihre Haare trockneten und rollten sich zu Locken zusammen. "Nehmen sie ihn mit!", bat der Tankstellenbesitzer mit verzerrtem Gesicht und röchelte. "Ja, aber sie werden es schaffen, Papperman. Sie werden es schaffen.", wollte Rebekka ihn beruhigen, aber sie wusste, dass der Mann nicht mehr lange die Augen bewegen würde, um nach dem Hund oder ihr zu sehen. Und er wusste es auch. Um sie herum gingen die wirren Versuche der Flucht weiter, aber sie bemerkten nichts. Das Feuer war schon kurz vor Dalton, höchsten noch einen Kilometer entfernt. Es war nicht mehr viel Zeit. "GEHEN SIE JETZT!", schrie Papperman plötzlich die Frau an und weinte. "Bitte, tun Sie mir den Gefallen und kümmern Sie sich um meinen Hund und retten Sie die Anderen. Ich habe noch meine Chance nutzen können." Rebekka nickte und glaubte zu verstehen. Sie erinnerte sich: Richard Papperman war immer ein Griesgram gewesen. Doch diesmal hatte er sein Leben für andere eingesetzt. Er hatte seine Chance genutzt. Sie nickte und gab ihm einen Kuss. Dann zog sie den Hund mit sich, der immer wieder zu seinem Herrchen wollte. Sie drehte sich nicht mehr um und in ihren Augen sammelten sich Tränen, die sie schnell wegwischte. Sie trieb die anderen Leute die Straße entlang und bald war der westliche Teil der Stadt leer. Richard starb mit einem Lächeln. Das Feuer aber kam immer näher und die Flammen züngelten über den Rasen am Straßenrand dem Lagerhaus der Baugesellschaft entgegen. Eine unerträgliche, höllische Hitze breitete sich aus, das Holz der Lagerhalle war nass, trocknete aber in wenigen Minuten. Die erste Flamme fraß sich ins Holz, die zweite, die Dritte und in wenigen Sekunden bestand die vordere Wand nur noch aus Feuer. Als die erste Flamme einer der Kisten mit der Aufschrift EXPLOSIV verschlang, explodierte das Dynamit in der Kiste. Eine Kettenreaktion sprengte das Lagerhaus in Stücke. Dynamitstangen, Holzschindeln, Gerümpel, Werkzeuge, Holzstiegen, die noch loderten, flogen im hohen Bogen durch die Luft auf die Straße. Manche Stangen explodierten in der im Flug, andere auf der Straße und rissen ein tiefes Loch in den Asphalt. Doch das Feuer wurde immer größer, immer kräftiger. Es züngelte dem nächsten Haus entgegen.

15:40 Uhr

Little Cloud bemerkte die vielen Menschen, die wie wirr überall hinrannten, oder mit Autos fuhren. (Meistens aber nur im Schritttempo, weil sie durch die Menschenmengen kaum vorwärts kamen.) Hier und da hupte es. Dann entdeckte er unter den Leuten Rebekka mit einem Schäferhund. Er lief ihr entgegen, drängelte sich durch die Menschenmenge und fragte was passiert sei. Sie erzählte ihm in Windeseile alles und die Leute eilten um sie herum, oder rempelten sie an. Sie wurden durch ein hohes, langes Hupen aus ihrer Unterhaltung gerissen. Beide sahen auf und die anderen um sie herum ebenfalls. Das Hupen stammte von einem schwarzen Jeep, dem ein Buick und ein Chrysler folgten. Ein Mann stieg aus dem Wagen und rief: "WIR MÜSSEN DURCH! WIR HABEN EINEN VERLETZTEN!" Little Cloud und Rebekka drängten sich an den Leuten vorbei, zu dem Fahrer des Jeeps. Er wollte gerade die Tür des Wagens zuknallen, als Little Cloud ihn erkannte und beim Namen rief. "Herbert Samson!" „Ja?" Der Mann drehte sich um. "Little Cloud.", staunte er. Cloud hatte ihm während der Studienzeit für seine Dissertation über Indianertraditionen und deren Kulte, die mit Wetterphänomenen verbunden waren, viel erzählt. Cloud hatte auch noch Samsons Vater als kleinen Jungen gekannt. Außerdem hatte er ja vor etwa zwei Stunden sie in Rolf Carsons Laden gebeten die Stadt zu verlassen. Doch durch die bestehende Gefahr vergaßen sie es. "Das Feuer kommt von Westen." "Ja? Ich dachte es kommt von Norden?", fragte Herbert und sie sahen sich fragend an. Die Fahrertür des Chryslers ging auf und Holsten kam zu ihnen. "Gibt es Probleme?", fragte er und grunzte leicht. Schweißperlen benetzten seine Haut. Es stimmte, es war verdammt heiß, das Feuer musste schon sehr nah sein. Sie blickten in Richtung Westen, wo die Lagerhalle explodiert war und einige Häuser nur noch rußige, qualmende Ruinen waren, die sie aber nicht von hier erkennen konnten. Eine schwarze, qualmende Rauchwolke züngelte aus der Richtung über den Dächern, der noch bestehenden Häuser. Auch in Richtung Norden erblickten sie eine Rauchwolke. Die anderen um sie herum bemerkten es ebenfalls und es rollte eine Welle der Angst und Panik über sie hinweg. Eine Frau mit einem Kind im Arm weinte plötzlich laut los und rief verzweifelt: "Wo sollen wir hin? Wo!" Rebekka ließ den Hund stehen, der immer noch verängstigt Schutz suchte. Den Verlust des Herrchens konnte er nicht begreifen. "Wir müssen einen Ausweg finden.", meinte Holsten. "Ich bin sicher, dass es einen gibt.", pflichtete Samson Holsten bei und Little Cloud nickte. "Wir müssen Randolf schnellstens hier raus bringen.", kam eine Stimme aus dem Jeep. Es war Luise Sellers, die sich um Betty kümmerte. Rebekka beruhigte die Frau und sah zweifelnd um sich. "Aber wir müssen uns beeilen, denn bald wir das Feuer überall sein.", meinte Little Cloud.

15:55 Uhr

Rolf Carson klingelte gerade bei Smith, als er ein Bellen vernahm. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, denn er erinnerte sich kurz an seine Kindheit, als auch er einen Hund hatte. Die Tür wurde von einem Mann geöffnet, der etwa fünfundvierzig Jahre war. Unter dem Schritt des Mannes drängelte sich der Hund vor und bellte Carson an. "Was wollen sie, Mr. Carson? Ist irgend etwas nicht in Ordnung?", begrüßte ihn Henk Smith. "Ja. Sie müssen die Stadt verlassen! Ein riesiges Unwetter breitet sich über der Stadt aus.", erwiderte Carson erregt. "Aber es regnet und blitzt doch nicht mehr. Und der Strom wird bestimmt auch bald wieder weg sein.", meinte Smith und blickte zum immer noch dunklen Himmel empor. Als sein Blick aber nach Westen schweifte, schrie er fast. "Da hinten brennt es!" Seine Frau und Benni kamen nun auch zur Tür. Alle vier, einschließlich Randy, blickten in Richtung Westen. "Okay, wir nehmen den Wagen. Wir müssen hier weg!", rief Henk und verschwand kurz. "Ich muß weiter, die Anderen warnen.", verabschiedete sich Carson. "Aber wenn das Feuer bald hier ist, was dann Mr. Carson?", fragte Ben ängstlich. "Ich weiß, mein Junge. Aber die anderen müssen gewarnt werden." Mary griff in Bennis Haar und Henk kam mit drei Jacken und dem Autoschlüssel wieder. Er drückte ihn Mary in die Hand, ohne das sie es richtig bemerkte und rannte Carson nach, der schon fast beim nächsten Haus war. "Ich komme nach!", rief er noch und drehte sich nicht mehr um. "Wird Daddy Mr. Carson helfen?", wollte Ben wissen. "Ja und er wird nachkommen.", entgegnete Mary, aber in ihren Augen spiegelte sich die Angst um ihren Mann wieder. Sie gingen zur Garage und öffneten sie. Randy wurde ganz aufmerksam; seine Sinne straften sich, denn er wollte die Familie beschützen. Immer noch hatte er das Gefühl, dass Ben etwas zustoßen könnte.

16:10 Uhr

Eine Kettenreaktion von Explosionen folgte im westlichen Teil des Sechshundert Seelenstädtchens. Die Flammen fraßen sich immer weiter voran. Häuser verbrannten, Fernseher implodierten und eine riesige Feuerwand schob sich dem Zentrum von Dalton entgegen. Getrieben von der Sturmwand, die immer stärker wurde. Es war nicht mehr viel Zeit. Im nördlichen Teil der Stadt brannten ebenfalls die Häuser ab und Menschen stürmten auf den Straßen hin und her und suchten das Weite. Rolf Carson und Henk Smith holten sie aus den Häusern, sagten ihnen, dass sie schnellstens aus der Stadt verschwinden sollten. Viele Frauen mit Kindern sahen hilflos umher, Männer trösteten die Kinder und Frauen. Wieder andere rannten die Straße entlang und noch andere stiegen in ihre Autos. Doch das Feuer wahr schon so nah, das einige Autos explodiert waren. Überall, wo man hinschaute labten sich einige Flammen am Rasen, Holz oder anderen Sachen. Als Rolf und Henk alle aus dem Norden der Stadt evakuiert hatten, flüchteten sie nun auch. Direkt hinter ihnen explodierte eine Honda Civic. Sie drehten sich um und um sie herum schrien Kinder oder weinten. Das Dach des Autos wurde weggerissen, die Reifen platzten, die Heck- und Frontscheiben explodierten in alle möglichen Richtungen. Henk riss Rolf auf den Boden und rettete ihm somit das Leben. Ein riesiger Fenstersplitter sauste über ihnen vorbei und landete auf dem Asphalt. Jetzt rannten alle so schnell sie konnten, denn hier würde es gleich ein riesiges Feuerwerk geben. Auf dem Parkplatz vor der Bankfiliale standen noch etwa zehn Autos. Als sie um die Kurven waren hörten sie die Explosion. Sie spürten die Hitzewelle, die sich ausbreitete. Und sie bemerkten den immer stärker werdenden Wind, der das Feuer schürte. "Scheiße! Wir müssen hier raus!", entfuhr es Rolf Carson.

16:19 Uhr

Ernestine und ihre Nachbarin und deren Mann verließen nun auch hektisch das Haus. Sie hatten bemerkt, wie die Anderen aus den Häusern stürmten und schrieen. Jetzt liefen sie die Straße entlang, den Dalton Hill hinauf, an der Grundschule vorbei in Richtung Westen. Doch dann entdeckten sie das Flammenmeer und kehrten um. Sie fühlten sich wie alte Hasen, die bei einer Treibjagd ihr Leben verteidigen mussten. Sie bekamen nichts um sich herum mit, ihre alten Herzen stolperten rasend schnell und kalter Schweiß brach ihnen aus. Ernestine hing immer etwas zurück. Die Nachbarin war etwa zehn oder zwölf Jahre jünger und ihr Mann zerrte sie mit sich. Immer wieder bat Ernestine um eine Pause, aber ihre Nachbarin ließ das nicht zu. Und wenn ich mich jetzt einfach auf den Boden fallen lasse und ausruhe? Es wären ja nur ein paar Minuten. Aber das Feuer kommt doch immer NÄHER UND NÄHER! Also rannte sie aus Leibeskräften weiter. Bis sie die große Menge im Kern der Stadt erreichten und dort ausruhen konnten.

16:24 Uhr

Sie kamen nicht gut voran. Der Wagen holperte auf dem Asphalt hin und her und sie konnten wegen der Menschen nur äußerst langsam fahren. Mary musste laufend an ihren Mann denken, ob ihm auch nichts zugestoßen war. Ben saß auf dem Beifahrersitz und Randy im Fond. Er hechelte und blickte in der Mitte zwischen den zwei Vordersitzen hindurch. Seine Ohren waren gespitzt und er beobachtete die Menschen draußen mit großem Interesse. Aber sie kamen nicht weit, denn als sie in der Innenstadt ankamen, wurde ihnen der Weg versperrt. Sie stiegen aus dem Auto. Ben ließ Randy raus und ging mit seiner Mutter zu der immer größer werdenden Menschenmenge. Sie bildete einen Kreis um drei Männer. Einen kannte Ben, es war Little Cloud. Sie diskutierten, schrieen und beruhigten sich wieder. Aufmerksam verfolgten die Leute den Verlauf der Diskussion. Ein dicker Mann, mit einer Halbglatze stritt mit einem von den drei Männern im Kreismittelpunkt. "Und was ist, wenn wir da auch nicht weiterkommen, he!?", rief der Dicke mit hoher Stimme, die sich für Ben etwas lächerlich anhörte. "Wir müssen es versuchen und nicht schon vorher die Flinte ins Korn werfen!", lautete das Gegenargument des Mannes. Viele aus der Menschenmenge nickten und eine Welle des Flüsterns breitete sich kurz aus und verstummte dann wieder. "Wir können uns ja teilen.", schlug der Dicke vor. Wenig Zustimmung ließ den Vorschlag als unbrauchbar abhaken. Immer wieder kamen neue Menschen aus allen Richtungen hinzu. Kinder weinten oder spielten auch, weil sie sich in der großen Menge beschützt fühlten. Doch plötzlich schreckten alle zusammen, als ein gewaltiger Donner den Boden erzittern ließ und ein paar Regentropfen herunter platschten. Ein Blitz durchzog anschließend den Horizont. Das Unwetter war mit dieser Stadt noch nicht fertig. Allgemeines Stöhnen breitete sich aus. Kinder weinten, weil sie erschraken, manche ließen ihre Spielsachen, ein Modellauto oder eine Puppe oder gar einen Ball fallen. Mütter nahmen ihre Kinder auf den Arm und trösteten sie. "Wir müssen uns jetzt entscheiden, und zwar schnell!", meinte Holsten. Worauf Samson und Little Cloud nickten. Stuart ging es nicht so gut, aber diese Leute hier waren wichtiger. Der Arzt befürchtete, dass man sein Bein amputieren müsste, wenn er es nicht bald angemessen behandeln konnte. Sie wussten es, aber es war ihnen auch klar, dass ein Mensch nicht über Hunderte entscheiden kann. Aber keiner fühlte sich in seiner Lage wohl. Es wurde still. Bis auf die weiter entfernten Explosionen und der Donner und der Regen war es wirklich still. "Das Feuer kommt immer schneller auf uns zu!", riefen Carson und Henk im Rennen. Mary und Ben drehten sich um und drängten sich durch die Menge. Sie rannten den beiden entgegen. Randy hetzte ebenfalls hinter her. Alle Anderen beobachteten sie. Als Henk Mary und Ben gedrückt und sich vergewissert hatte, dass den beiden nichts passiert war, wurde die Diskussion weitergeführt. Henk und Carson drängten sich durch die Menge in den inneren Kreis. "Im Westen und im Norden ist Feuer ausgebrochen. Außerdem kommt starker Wind auf und treibt das Feuer schnell voran. Den einzigen Stadtausgang, der noch frei sein könnte, wäre der in Richtung Boulder.", berichtete Carson. "Also in Richtung Süden?". fragte eine Frau aus der Menge und die anderen drehten sich ihr zu. "Ja.", bestätigte Smith. Der Mann mit der Halbglatze hatte sich zurückgezogen und war nun derselben Meinung, wie Little Cloud, Carson, Smith, Holsten und Samson. "Wir fahren vor!", beschloss Samson. Die anderen nickten zustimmend.

16:43 Uhr

Der Konvoi aus Menschen und Autos setzte sich in Richtung Süden in Bewegung. Der schwarze Wrangler, von Samson gefahren, war der Anführer der Kolonne. Danach folgten die zwei anderen Wagen in dem Holsten und seine Truppe saß. Im hinteren Wagen befand sich Stuart, der nun bewusstlos auf der Bahre lag. Kalter Schweiß rann an seiner Stirn herunter und Dr. Levingston saß mit traurigen, aber noch hoffnungsvollen Gesicht daneben. Hinter dem Wagen folgte der Ford von Familie Smith. Henk saß am Steuer, Mary auf dem Beifahrersitz und Randy und Ben im Fond. Dahinter und neben den Autos liefen ungefähr dreihundert oder mehr Einwohner Daltons. Und einige Autos folgten auch noch. Das wieder einsetzende Gewitter schickte immer schneller hintereinander folgende Blitze auf die Dächer der Stadt. Sie kamen nur langsam voran, als plötzlich ein Blitz in den Baum am Straßenrand einschlug und der entflammte Baum in der Mitte brach und kippte. "PASS AUF!", keifte Mary ihren Mann an, - aber zu spät. Die Leute stoben in alle Richtungen, als der brennende Baumstamm auf die Motorhaube des Wagens krachte. Henk knallte mit dem Brustkorb gegen das Lenkrad. Er schrie vor Schmerz auf. Auch Ben schrie weinend vor Angst. Mary wurde gegen das Armaturenbrett geschlagen und als sie wieder nach hinten in den Sitz rutschte blutete sie an der Stirn. Ein enormer Knall zeugte von den Reifen, die geplatzt waren. Das Feuer griff rasch auf den Ford Kombi über. Little Cloud sprang aus dem Wrangler drängelte sich durch die Menschenmassen dem Auto entgegen. Jetzt musste er unglaublich schnell und überlegt handeln. Er rief im Rennen nach Holsten, der sofort hinter her stürmte. Sie blieben vor der brennenden Motorhaube stehen. Im nächsten Moment eilte Little Cloud zu Bens Tür und Holsten kümmerte sich um Mary. Doch sie konnten die Türen nicht auf kriegen. Ben und Mary begriffen, was die beiden wollten und senkten ihre Köpfe, so das sie nicht unbedingt getroffen wurden. Gleichzeitig zerschlugen die beiden die Fenster mit dem Werkzeug, was Holsten bei sich hatte und zogen Mutter und Sohn heraus. Randy wurschtelte sich durch den Fensterrahmen und zog Ben am Hosenbein. Er ersparte dem Jungen den Anblick seines toten Vaters. Da es nun brannte rannten alle weiter und Ben wurde fast zertreten, als Ernestine ihn schnell an sich zog. Sie schützte den Jungen. Mary rannte um den Wagen herum, - Holsten war schon weiter vorne. Das Ding explodiert jeden Moment!, durchfuhr es den Indianer. Nun war nur noch er und Mary bei dem brennenden Wagen. Er wollte sie wegziehen, aber sie krallte sich an der leicht geöffneten Scheibe des Fahrers fest, wo Henk tot gegen das Lenkrad gelehnt im Sitz hing. Doch schaffte es Little Cloud noch sie weg zu schleifen, als der Wagen explodierte. Er riss sie mit sich zu Boden. Die anderen waren schon weiter vorn, als die Windschutzscheibe des Kombis in tausende Scherben zersplitterte und Henk im Wagen mit in die Luft flog. An einer der Scherben klebte sogar Haut mit Blut. Little Cloud wand seinen Blick von diesem Schreckensbild ab und tröstete Mary. Randy und Ernestine kannten sich und so war Ben in guten Händen. Er hatte die Explosion gehört und weinte nun. Ernestine blieb stehen, die anderen gingen um sie herum, und strich durch das dichte Haar des Jungen. "Dein Vater wird immer in deinem Herzen sein. Glaub mir Junge, ich weiß was du fühlst.", sagte sie mit zitternder Stimme. Randy winselte und Ben schniefte in die Bluse von der fetten Ernie.

17:00 Uhr

Der Wind entwickelte sich in wenigen Minuten zu einem heftigen Sturm, als sich der Konvoi wieder in Bewegung setzte. Und dieser Sturm fegte jetzt durch die Straßen und trieb das Feuer hinter den flüchtenden Bewohnern der Stadt hinter her. Häuser explodierten reihenweise. Explosionen holten in den Leuten immer mehr das große böse Tier aus dem Unterbewusstsein hervor. Fast wie ein langsamer Fahrstuhl. Dieses Tier, dass sie verrückt werden ließ: Panik! Sie kamen immer noch nicht schneller voran, als das Feuer nun immer näher kam. Eine riesige Hitzewelle verfolgte sie und hüllte sie auch schon langsam ein. Doch sie gaben nicht auf. Der Sturm zog an den Straßenschildern, bis sie sich lösten und durch die Gegend flogen. Und plötzlich, als es Furcht erregend donnerte, da flammte vor ihnen eine meterhohe Stichflamme auf. Die Menschen schreckten zurück, aber ein Wagen konnte nicht sofort bremsen und das Feuer begann ihn zu fressen. Schnell stiegen Luise, Samson, Little Cloud, John und Rebekka aus dem Wrangler und stürzten davon. Die Menschenmenge stob wie eine überschwappende Welle wieder zurück. Viele schmissen sich instinktiv auf den Boden; Kinder schrieen vor Angst, Männer riefen nach ihren Frauen; und die zwei Hunde bellten laut. Ernestine und Ben schmissen sich ebenfalls hastig auf den Boden, als der schwarze Wrangler durch die Explosion in Stücke gerissen wurde. Die Scheinwerfer platzten, genau so wie das Front- und Heckfenster. Die Seitenfenster sprangen nach innen und der schwarze Jeep war nur noch ein Flammenherd. Offenbar war die Kanalisation mit Öl geflutet und brannte, zumindest glaubte das Samson. Er war auch der erste, der sich erhob. Holsten, der schon viel eher gehalten hatte kam zu ihm gerannt. "Wie wollen wir jetzt weiterkommen?", fragte er aufgeregt und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Die anderen setzten oder stellten sich ebenfalls wieder auf. Mütter und Väter trösteten ihre Kinder. Ernestine und Benni kümmerten sich um den verängstigten Randy. Samson wollte gerade antworten, als er durch das Geschrei der verängstigten Leute unterbrochen wurde. Sie alle richteten ihren Blick in Richtung Westen, auf einen Parkplatz, wo eine hohe Flamme empor züngelte und auf die Autos zukam. "Hast du einen Feuerlöscher?", mischte sich John in ihr Gespräch, als er gerade neben ihnen stand. "Ja, ich hab' einen.", erklärte Holsten mit fragendem Blick. "Aber für was brauchst du ihn?" "Dafür, wofür er auch hergestellt ist. Und ich glaube wir brauchen noch drei. Wir müssen den Wrangler versuchen zu löschen, denn das ist der einzige Weg, um aus diesem Inferno heraus zu kommen." „Aber Vorsicht bei den Kanaldeckeln…", mahnte Samson. "Okay, ich besorge schnell welche. Ich und Samson werden dir helfen. Little Cloud, Rebekka und deine Frau werden sich um die Leute hier kümmern, dass sie nichts Verrücktes machen, okay?" Alle Angesprochenen nickten. Rebekka und Luise mischten sich in das Gedränge der verängstigten Stadtbewohner. Manche kannten sie, manche nicht. Sie versuchten die Kinder zu beschäftigen, während sich das Feuer auf dem Parkplatz austobte und gerade ein brauner Chrysler in die Luft flog. Alle zuckten wieder instinktiv zusammen, manche schlugen die Hände vors Gesicht. Little Cloud kümmerte sich um Mary, die nun unter einem Schock litt. Metall rieselte hinab und traf einen kleinen Jungen im Genick, der laut aufschrie. Aber er war zum Glück nur leicht verletzt. John, Samson und Holsten besorgten aus den Autos schnell drei Feuerlöscher und rannten zu dem brennenden Autowrack. Sie drückten die Knöpfe gleichzeitig, als ein weiteres Fahrzeug auf dem Parkplatz in die Luft flog. Doch diesmal war die Explosion etwas leichter und das weggesprengte Metall rieselte nicht in ihre Richtung. Das Feuer aus Westen und Norden vereinte sich zu einer riesigen Wand und wurde von der Sturmwand vor sich her geschoben. Der Sturm kam immer näher und so auch das Feuer. Sie hatten den Brand des Autos schon fast unter Kontrolle. Das Feuer wurde vom Schaum erstickt und es dauerte nur noch wenige Minuten, bis nur noch ein paar, kleine Flämmchen im starken, immer mehr zunehmenden Wind züngelten. Als die Leute es bemerkten standen sie auf und rannten los. Zwar riefen Samson, John, Little Cloud und Holsten zur Vernunft und Ruhe auf, aber die Panik war schon zu groß und übermächtig. Sie beherrschte schon den Großteil der Menschen. Nur wenige beruhigten sich und blieben auf dem Asphalt sitzen. Auch der dicke, glatzköpfige Mann war unter ihnen. Er schien bemerkt zu haben, dass man mit Ruhe besser voran kam. Mary zog plötzlich wie wild an Little Clouds Schulter und als er sich ihr zudrehte erschrak er kurz. In ihren Augen flimmerte Panik, Angst und Hoffnungslosigkeit hin und her. Wie ein Fernseher mit Überreichweiten, dachte er zusammenhangslos. "Da, das Feuer!", schrie sie ihn an. Und er und die anderen sahen, was sie meinte. Eine riesige, alles verschlingende Feuerwand kam auf sie zu. Gerade machte sie sich über den Parkplatz her und die restlichen Autos explodierten wie in einer Kettenreaktion. Nun rannten auch die, die sich erst vernünftig gegeben hatten. Mary drehte durch. Sie riss sich von ihm los und lief dem Feuer entgegen. "ICH KOMME ZU DIR, HENK!", keifte sie mit weit ausgestreckten Armen. Little Cloud rannte hinter ihr her, während Samson und John zusammen mit Holsten die Bahre mit Stu aus dem Wagen holten und ihn in Richtung Süden trugen. Mary war kurz vor der Feuerwand, ihre Haare bewegten sich wellenförmig in alle Richtungen, von der Hitze ausgehend. Sie schrie nur noch unverständliches Zeug und Little Cloud stellte sich atemlos vor sie. Er holte tief Luft und drehte sie grob herum. Sie schlug auf ihn ein. "Denken Sie an Ihren Sohn! Er braucht Sie!", brüllte er sie augenblicklich an. Das Feuer begann immer mehr auf ihn loszugehen. Doch er wollte die Frau retten. Sie hatte den Verstand nur für einen Augenblick verloren und jetzt stand sie mit weit aufgerissen Augen und offenen Mund da. "BEN? WO IST MEIN BEN?!", rief sie. Little Cloud ging auf sie zu und schob sie weiter. Dann explodierte hinter ihnen ein dreistöckiges Mehrfamilienhaus. Little Cloud schmiss die Frau zu Boden und er wurde durch die Explosionskraft und die Druckwelle in die Luft geschleudert. MANITU ICH KOMME!, dachte er. Er landete auf dem Asphalt, vom Knacken der brechenden Knochen begleitet, schürfte sich die Knie auf, bis sie bluteten und verlor das Bewusstsein. Luise und Rebekka kamen angerannt. Luise kümmerte sich um Mary. Rebekka kniete vor dem alten Indianer und schlug ihm hart ins Gesicht. "Little Cloud! Little Cloud!", rief sie wie in Rage. Seine Augen blinzelten sie an. Er faselte für sie etwas Unverständliches, so das er es wiederholte, bis sie es verstand. "Manitu wird mich holen. Ihr müsst hier raus! Der Wind wird sich bald drehen. Ihr müsst hier raus!" Sie konnte es nicht so richtig glauben und fassen, aber die unerträgliche Hitze drängte sie zum Handeln. Sie musste zu den Anderen, das war klar, denn sie wurde dort nötigst gebraucht, aber was war dann mit Little Cloud? Er hatte sich doch auch um sie gekümmert. Also würde sie das gleiche für ihn tun. Sie stützte ihn nun auf, aber er röchelte. "Nein, nein. Ich will endlich sterben! Ich weiß, dass du es nicht verstehen kannst. Aber ich habe mein Leben gelebt. Ich muss gehen, Manitu ruft nach mir." Ihr stiegen jetzt die Tränen zum zweiten Mal ins Gesicht und sie schniefte und weinte. Sie küsste ihn auf beide Wangen und er lächelte. "Ich werde den anderen von Ihnen erzählen. Leben...", sie schüttelte sich im Weinkrampf und fuhr dann fort. "Leben sie wohl." Er schloss die Augen und sein Herz hörte wenige Sekunden später auf zu schlagen. Und er lächelte. Luise stützte Mary mit der Schulter und sie wankten an ihr vorbei. Rebekka half Luise und sie kamen schnell voran, vorbei an dem noch glühenden Wrack von Jeep zu den Anderen, die gerade sich umdrehten, und staunten. Nun drehten sich auch Luise und Rebekka um. Und was ihre Augen da erblickten, ließ sie erstarren und eine kalte Schauerwelle bis ins tiefste Knochenmark jagen. Eine riesige Feuerwelle verbrannte da zwei Häuser auf einmal. Die Autos explodierten hinter einander in einer kurzen Kettenreaktion. Beton splitterte in alle Gegenden. Glas und Holz flogen durch die Luft. Es war ein zerstörerisches Inferno der Naturgewalten. Bäume an den Straßenrändern fingen Feuer, das Glas der Laternen splitterte und die Telefonmasten ähnelten nur noch riesigen Fackeln. Die Panik packte wieder um sich, nach wehrlosen eingeschüchterten Leuten. Kinder schrieen wie am Spieß, Frauen keiften, Männer wischten sich den triefenden Schweiß von der Stirn und ihre Gesichter spiegelten Wut und Aggressivität wieder. Holsten und Samson trugen die Bahre mit Stuart Randolf. Er stöhnte und Dr. Levingston, der neben der Bahre lief und Betty, die auf der anderen Seite entlang eilte, kümmerten sich um den Verletzten. Der Verband war schon rot von seinem Blut durchtränkt. Aber nun konnten sie dieses kleine Schild sehen, das ihnen in diesem Augenblick mehr bedeutete, als alles Gold oder Millionen der Welt. Es war das Ortsausgangsschild. Jetzt kamen die anderen wie die Wilden angerannt und riefen: "MACHT SCHNELL, MACHT SCHNELL!" Betty erkannte, dass hinter den Menschen einer riesige Stichflamme durch die Straße fegte und in der folgenden Sekunde hörte sie, wie es ihr vorkam tausende Explosionen. Die meisten Menschen schafften es… Feuer züngelte hier und da empor und in der nächsten Sekunde flog der ganze Mist in die Luft. In einem ohrenbetäubenden, tiefen Knall explodierte eine Hauswand und daraufhin stürzte das verbrennende Haus in sich zusammen. Nun waren die meisten schon bei Samson, Dr. Levingston und Holsten, die die Bahre von Stu jetzt nach unten legten. Sie erkannten Luise und Rebekka, die eine Frau stützten, die sich plötzlich losriss und ihrem kleinen Jungen entgegen lief. All sie alle etwa mehr als einen Kilometer entfernt erschöpft im nassen Gras lagen und Mütter und Väter ihre schreienden Kinder beruhigten ,fanden sich viele Menschen wieder und fielen sich gegenseitig in die Arme. Luise und John ließen sich einfach zusammen ins Gras fallen. Man, sie hatten es gerade noch so geschafft. Dr. Levingston und Betty sahen zuversichtlich um sich. Und Stu kam wieder kurz zu sich und lächelte. Ernestine kniete etwas verloren im Gras, den der kleine Ben war nun wieder bei seiner Mutter. Doch ein kleines Winseln machte sich hinter ihr bemerkbar, -es war der Schäferhund Jim. Sie strich ihm erfreut durch das zerzauste Fell. Und wenige Minuten später war die ganze Stadt nur noch ein Inferno. Riesige Flammen stiegen empor und der Horizont war erleuchtet. Immer wieder hörte man Explosionen, die sich wie detonierende Bomben anhörten. Aber sie waren der Katastrophe entronnen.

ENDE

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Statistik zu
Dunkle Wolken über der Stadt (Teil 2)
Eines meiner Erstlingswerke
Kategorie: Geschichten
Erstellt von: Badfinger
Veröffentlicht am: 29.08.2003 03:49
Geändert am: 29.08.2003 04:18
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Seit 25.10.2011
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