Vom Raben des Friedens
Als der Himmel von blau ins Rot der Abenddämmerung verwischte und die ersten Stimmen der Nacht erwachten, begann sich in mir etwas zu regen. Meine scharfen Augen zogen über die Felder, auf der Suche nach dem Schwarz der Dunkelheit, nach dem Vergessen. Der Wind rüttelte an den Ästen des Baumes und ich spreizte die Flügel. Im nächsten Moment segelte ich in den unendlichen Tiefen und Höhen des anbrechenden Abends, zog über das Feld hinweg, über Straßen, über Bäume, Wiesen, Berge, Hügel, immer weiter, ziellos und getrieben von diesen Stimmen. Es war ein sinnliches Wispern, das jedoch im nächsten Augenblick zu einem tiefen Grunzen abfiel, um dann in beißende Höhen und Höllengeschrei zu entschweben. In der Luft spürte ich die Hitze eines Tages, der dieser Welt nicht vergönnt war und ohne den sie dennoch ausgekommen wäre. Ohne die Zerstörung eines jeden Tages, würde diese Welt voll Leben leuchten! Ich zog tiefer durch die Gassen, wo nur noch das Laub raschelte. Über den Asphalt gesäumt von Ruinen, Straßen, geziert mit den Reliquien einer vergangenen Zivilisation: Dreck, Abfall, zersplittertes Glass, zerbeulte und verrostete Fahrzeuge. Dazwischen die leblosen Körper, dahin geschlachtet und verloren, ihre Seelen dazu verdammt in der Sinnlosigkeit des Todes zu schweben. Die Stimmen wurden lauter und lauter, bis ich auf einem der zahllosen Dächer landete und dort für ein paar Minuten dem Donnern meines Herzens lauschte. Ich versuchte diese Stimmen, die forderten und gnadenlos Kommandos keischten, zu verdrängen. Im Westen war der feuerrote Ball am versinken. Die Kraft des Lichts hatte dieser Welt Leben geschenkt, dass die Dunkelheit nahm. Die Stimmen brüllten in tausend verworrenen Sprachen, doch ich konnte mich ihrer Bedeutung nicht entziehen. Es waren die Götter die zu mir sprachen, mich befehligten, auf dass ihr Wille geschehe. Bote sollte ich sein! Die Botschaft des Untergangs dieser Welt sollte ich verneinen, sollte statt dessen, die letzten Überlebenden im Gewirr der Städte und den anderen geschwulstartigen Ausuferungen der Zivilisation finden. Die Botschaft vernahm ich wohl, sie sprengte mir durch Mark und Bein, bis in die äußersten Spitzen meiner Flügel, doch der Wille versiegte. Angst bebte in mir, gefolgt von Hass. Was mochten die Götter schon davon verstehen, was es hieß ein Rabe zu sein? Wussten sie um Schrot? Kannten sie das Gefühl zu verstehen, dass du das Abbild des Teufels bist? Sie waren doch selbst Führer einer Gesellschaft, die sich verselbständigt hatte und nicht mehr den Kräften ihrer Allmacht Untertan spielte! Die Zeit des Glaubens war vorbei, die Realität war kalt, grau und tödlich. Gesprenkelt von den beißenden Gerüchen einer aufstrebenden Gesellschaft, die ertrank in den Abwässern aus Gift und dem Grundwasser angereichert mit strahlenden Substanzen. Dazwischen wir, die Boten des Himmels, die man mit Füßen trat. Wo war der Sinn diesen letzten Flug zu wagen? Nun herrschte die Dunkelheit der Nacht und die Welt wirkte wie eine Urne, schwarz und beißend vom Geruch des Todes. Der Wind wimmerte sein Klagelied und das Leben war nichts Anderes als eine blasse Erinnerung. Sieben Tage diese Welt zu erschaffen, sieben Tage um sie dahin zu raffen. Dennoch zuckte und rupfte diese andere Macht an meinen Flügeln, schuppste mich vom Dach und ich zischte zu Boden, um dann über den Asphalt zu schweben. Als der Mond seinen weißen Totenschädel am Firmament erleuchten ließ, hörte ich die Stimmen ein letztes Mal. Dieses Mal deutlich: Flieg, Rabe, flieg! Hoffnung ist wie ein Tuch, wenn du es fallen lässt, gibt es noch eine Chance, es vor dem zu Boden fallen aufzufangen. So schlug ich mit aller Kraft, schraubte mich empor, segelte über das dunkle Grau aus Betonmonstern einer Gesellschaft, deren letzte Tage verrannen.∗ ∗ ∗
Die Nacht umfing mich und die Kraft des Fliegens spannte meine Flügel. Im Wind erhaschte ich die letzten Schwingungen der Stimmen der Götter, denn auch ihre Macht versickerte im Chaos der Dunkelheit. Das eintönige Grau unter mir, ließ meine Gedanken wieder in die alten Zeiten zurück fliegen, während ich der Zukunft entgegen schwebte, die da noch irgendwo schlummerte. Die Kämpfe waren nach und nach aufgelodert, der Hass eine wilde Bestie, die auch von den Tieren dieses verdammten Planeten Besitz ergriff. Es kam wozu es niemals kommen durfte. Krieg im Reich der Tiere, Krieg im Reich der Menschen, Krieg überall. Blut zierte die Wälder im Überfluss. Die Straßen und Häuser der Menschen waren ebenfalls von ihrem Herzensblut gezeichnet. Dann die Stille des Vergessens und dennoch, die Götter ließen all das geschehen! Schließlich gab es nur noch wenige Überlebende und, so Gott es will, war ich einer dieser letzten Boten. In jener Nacht, als der Countdown des Exodus im Urgestein der Welt tickte, begann ich durch das Rauschen des Windes verführt an eine Zukunft zu glauben. Ich sah Flügel, Tausende am Horizont, vernahm das Singen und dies war die Welt, der Luftreiter. Überall schwarzes Gefieder. Doch da schmetterte der Donner durch die Nacht und ließ mich innerlich erstarren, ob meiner dunklen Wünsche. Als die Nacht begann die Felder dem Licht des neuen Tages freizugeben und die Sonne die Welt in ein wildes Farbenspiel tauchte, sah ich das goldene Blinken eines Haarschopfes zwischen den schwarzen Ruinen einer Stadt. Ich sank herab, bis ich nur wenige Schritte vor dem kleinen Wesen im Staub landete. Das kleine Ding, ein Menschenkind, beobachtete mich. Dreck im Gesicht, unter den Augen die Spuren von Tränen, wirkte es so schutzlos. Ich flatterte nach links, dann nach rechts und kam direkt vor seinen Füßen hinab. Die Finger, klein und jung, ungeschickt, aber sanft, strichen durch mein Gefieder. Wie lang war es her, dass Jemand meine Federn berührte? Ich krächzte zu Frieden. Ich flatterte empor und die Augen des Kleinen folgten mir. Als ich ein wenig weiter davon segelte, begann es sich aufzurichten. Plumpste dann aber wieder auf den Hosenboden. Ich kam zurück, nur um frische Tränen in den Augen schimmern zu sehen. Ich flog abermals empor, doch dieses Mal blieb ich in seiner Nähe und es begann erneut sich aufzurichten. Jetzt aber schaffte der Kleine es. Seine Schritte waren unbedarft und ungelenkt, doch er folgte und wir begannen mit dem langen Weg, in eine Zukunft, wo Hoffnung nur ein glimmender Streichholz war.∗ ∗ ∗
Es brauchte vier Tage, bis wir aus der Ruinenstadt entkamen. Am Tag war die Stille unser Freund, obgleich ich spürte, wie sehr sich der Kleine vor ihr ängstigte. Ich versuchte zu Singen, doch ein Rabe kann nur Krächzen. So erkannte das Kind, was es hieß nicht sprechen zu können. Und er verstand, dass man einander zuhören musste. In der Nacht begann die Kälte unsere Herzen zu umgreifen. So konnte ich nicht mehr hoch hinaus segeln, ohne den Kleinen allein zu lassen. Da verstanden wir, miteinander auszukommen. Ich vernahm die Worte des Kleinen, ein Wirrwarr, doch es wahr Ehrlichkeit, die aus seinem Herzen quoll. Der Sonnenschein des neuen Tages strich über uns, wärmte die Herzen und ich begann nach Beeren zu suchen. Der Kleine folgte und wir zerrten an den Sträuchern, kauten wilde Beeren und verstanden zu teilen was es noch gab. Als die Dunkelheit erneut sich anschickte die Welt zu erobern, suchten wir Unterschlumpf. Ich im Wipfel des Baumes, das Menschenkind in der Baumhöhle. Ich wachte über ihn und als ich dem Flüstern des Windes erlag und selbst träumte, wachte das Kind über mich. Die Verantwortung für einander wurde sichtbar und wir verstanden, das Miteinander. Am dritten Tag erklommen wir den Berg. Die Stimmen hatten vom Berg der Erleuchtung gesprochen, und Meter um Meter kamen wir dem Gipfel näher. Anfangs noch hilflos, machte der Kleine nun eine gute Figur. Zur Mitternacht standen wir am Gipfel des Berges, in den kühlen Höhen wärmten wir uns aneinander und schlummerten schließlich ein. Der nächste Tag brachte die Erleuchtung, ein gleißendes Licht und wieder die Stimmen. Für einen Augenblick, als das silberne Licht über mich wusch, konnte ich die Worte des Kindes sprechen und ich sagte: "Lass uns Berge erklimmen, lass uns in die unendlichen Weiten fliegen. Frieden zwischen uns und der Welt. Auf das dieses Mal alles zusammen hält." Der Kleine, dem das Licht mit Wissen und Verständnis segnete, nickte und sagte: "Lass uns aufeinander achten, helfen und nicht nach dem Leben trachten. Die Welt ist groß, Platz für alle." Das Donnern der Götter schwoll heran, als die Welt sich gegen die Zeit zu drehen begann. Ich flog durch die Weiten einer vergangenen Zeit und das Kind folgte mir. Bis wir schließlich im Herzen eines neuen Tages verhielten. Die Sonne leuchtete voller Lebenslust und in der Luft schwebte das Gefühl einer neuen Chance. ENDEVeröffentlicht auf www.literaturzone.org Vom Raben des Friedens / 29.04.2004 / Shortstory Gesellschaft Bewertung/Kommentare Vom Raben des Friedens / 06.12.2004 / webstories.eu / Fantastisches · Kurzgeschichten VOM RABEN DES FRIEDENS (2007) - mnebeling.blogspot.com
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Eine apokalyptische Vogelgeschichte
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Kategorie: Kurzgeschichten
Erstellt von: Badfinger
Veröffentlicht am: 17.02.2004 20:37
Geändert am: 14.12.2005 09:34
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